Unlängst beim Revisionistenfilm
Der revisionistische japanische Film (“Pride – A Fateful Moment”, 1998) ist eben das: revisionistisch. Es geht um die Rehabilitation von General Tôjô, Premierminister Japans von 1941 bis 1944 und wesentlich für die Militarisierung Japans im Inneren und auch nach außen hin verantwortlich. Dem Film zufolge war General Tôjô ein netter Mensch, fürsorglich und besonnen, ein reizender Großvater, der Tomaten anbaut und ansonsten nur dem japanischen Volk gegenüber seine Pflicht erfüllt. Dann kommen die bösen Amerikaner und machen ihm und all seinen Mitregierenden einen bösen Prozeß, der von vorne bis hinten unfair geführt wird, was man aber eh schon weiß, wenn man die stahlblauen Augen des amerikanischen Anklägers gesehen hat. Damit man es nicht vergißt, wird das indische Gerichts-Mitglied auch noch zum wesentlichen Charakter erhoben, und da Japan ja seine kriegerischen Aktivitäten ohnehin nur zum Zweck der Befreiung unterdrückter asiatischer (vor allem indischer) Massen vom Joch des westlichen Imperialismus tätigte, darf der authentische Inder die Autorität des Gerichts anzweifeln und die angeklagten Mitglieder der japanischen Kriegsregierung für unschuldig befinden, lang und breit.
Es gibt dazu nicht viel zu sagen. Es gäbe dazu viel zu sagen, was die Machart des Filmes anbelangt. Kleine, versteckte Zeichen für Eingeweihte (zu einer Unterredung zwischen Premier und Außenminister wird das Datum 20.4. eingeblendet, ein Schelm, wer dabei was denkt), eine Fülle von Verkehrungen und Verdrehungen, die aus dem sentimenalistisch-rührseligen Kitschdramafüllhorn nach dem Motto “irgendwas wird schon hängen bleiben” über dem Publikum ausgegossen werden. Natursymbolik, Frauenbilder, Heldentum. Vieles könnte man dazu sagen, doch.
Der Film ist aus. Es war eine Videoprojektion im dunklen, nüchternen Hörsaal; das Neonlicht geht an; der Organisator, der den Film schon mit detaillierten Informationen zur Entstehungsgeschichte angekündigt hatte – finanziert von einer einem Revisionisten gehörenden Baufirma, beraten von zwei wesentlichen Figuren der japanischen extremen Rechten -, ruft zur Diskussion.
Die erste Wortmeldung kommt von einem etwas älteren Herrn. Es wäre eh „illusionär“, über den Film zu reden, das erübrige sich, weil die Amerikaner wären sowieso die Letzten gewesen, das hätte man ja gesehen im Film, wie die da einen angeblich fairen Prozeß geführt hätten, und außerdem Dresden und Hiroshima, das wären ja die Ärgsten gewesen, wie könnten die denn urteilen. Man kenne die Fakten, also erübrige sich Diskussion. Und Nanking? Naja, ob da 300 oder 3000 Leute gestorben seien, wisse ja ohnehin niemand. Daher also. Unwichtig.
Der Organisator ist überrascht. Alle anderen auch. Man hatte sich wohl mehrheitlich auf eine Vorführung eines bedenklichen Filmes unter Menschen vorbereitet, die sich der Bedenklichkeit des Filmes bewußt und sich über sie einig sind. Jetzt das.
Ich presche wie immer vor und meine, man müsse sich doch unabhängig von Fakten vor Augen halten, dass anno 1998 in Japan ein Film produziert wird, der manche Fakten, aber auch vieles Erfundenes für bestimmte politische Zwecke einsetzte, und das wäre ja eigentlich Thema.
Das wird aber nicht Thema. Der Schock der Anfangswortmeldung sitzt, und es will sich keine Diskussion entspinnen. Der junge Mann, der neben mir sitzt, meint, er fände es komisch, wenn Japan als Naziland behandelt würde. Der Organisator meint, und ich meine auch, dass das ja überhaupt nicht der Fall wäre. Der junge Mann meint, naja, Japan und Deutschland würden da ja immer gemeinsam genannt. Ich meine, naja, es gab nunmal zwei große Kriegsverbrecherprozesse nach dem Zweiten Weltkrieg, insofern könne man ja trivialerweise voraussehen, dass in dem Zusammenhang immer Japan und Deutschland genannt würden, und welche Parallelen man darüber hinaus gerechtfertigterweise herstellen könne oder nicht, müsse man eben diskutieren, aber in einen Topf werfen täte da niemand was. Der junge Mann bleibt dabei: es würden Japan und Deutschland „in einen Topf“ geworfen, und das würde ihn stören. Da die Topfwerferei sons t keiner nachvollziehen kann und sich der junge Mann auch nicht von ihrem Nichtstattfinden überzeugen läßt, endet dieser Strang der Unterhaltung bald. Öh, ja.
Eine junge Frau bringt das Wort „Lager“ auf, es ging glaube ich um einen Aspekt, anhand dessen man das Verhalten von Deutschland und Japan in WK II klar unterscheiden könnte. Da meldet sich wieder der ältere Mann zu Wort. Die Amerikaner hätten ja auch Lager errichtet in den USA, wo sie Japaner eingesperrt hätten. Ich weise darauf hin, dass zwischen Vernichtungslagern und Internierungslagern doch wohl ein großer Unterschied bestünde. Er meint, den Leuten, die da oder dort gestorben seien, wäre das egal. Ich meine, dann ließe sich wohl ein Vernichtungslager auch mit einem Verkehrsunfall vergleichen, weil es den Toten eh egal wäre, woran sie sterben, aber darauf kommt dann keine Antwort, da ist dann auch schon ziemlich viel Gewusel im eigentlich nicht allzu zahlreichen Publikum.
Der Organisator gibt noch einmal ein ganz klares Statement ab. Ja, der Film wäre ein Propagandafilm, daran gäbe es nichts zu rütteln. Ja, es hätte in Nanking ein Massaker gegeben. Ja, die Darstellung des Tokyoter Prozesses im Film sei extrem verzerrt und manipulativ. Er ist sichtlich schockiert. Revisionisten im Publikum hatte er nicht erwartet. Das Publikum wohl mehrheitlich auch nicht.
Nach der Vorführung findet sich noch eine kleine Gruppe, bestehend aus einigen Japanern und -innen, dem Organisator und mir, die was trinken gehen will. Man tauscht erst E-Mail-Adressen aus, weil eigentlich noch alle in der Gruppe die vierstündige Dokumentation über den Tôkyôter Prozeß sehen wollen, die der Organisator auch auf Video hat, aber nicht öffentlich zeigen wollte, denn er hätte sie eben nur auf Japanisch und das wäre für Studierende nicht wirklich interessant.
Da fängt der ältere Mann eine Plauderei mit einer der Japanerinnen an, die er irgendwie schon kennt, über irgendwas Belangloses. Es zeichnet sich ab, dass er mitgehen will. Der Organisator ahnt Übles. Ihm ist glaube ich wirklich physisch schlecht. Der ältere Mann sei übrigens vor ihm, dem Organisator, Präsident des akademischen Vereins gewesen, der die Filmvorführung organisiert hatte. Nein, so richtig kennen würde er ihn nicht. Nach den Wortmeldungen würde er das auch nicht wollen.
Wir gehen alle was trinken. Der ältere Mann sitzt neben der Japanerin, die er kennt, und unterhält sich mit ihr. Nur mit ihr. Wir anderen sitzen herum und reden über den Film oder scherzen einfach. Nach einem Bier geht der Mann.
Irgendwann zwischendurch am Weg ins Lokal hatte ich mich gefragt, wäre es der Mühe wert, sich jetzt in seine Nähe zu begeben und das Thema noch einmal aufzurollen. Vielleicht gab es ja wirklich Mißverständnisse, die man aufklären könnte. Vielleicht meint er das alles nicht so. Irgendwo gibt es eine Grenze zwischen Verwirrtheit und Inakzeptabilität. Der Typ hat die eindeutig überschritten. Man kann nicht behaupten, Internierungslager für potenzielle Spione (so fadenscheinig auch die Gründe sein mögen, aus denen man Leute für solche hält) und Massenvernichtungslager wären gleich zu beurteilen, weil sie das ganz einfach nicht sind. Man kann nicht die japanische Kriegsverantwortung durch Hiroshima und Nagasaki und Dresden vom Tisch wischen, weil das alles nichts damit zu tun hat. Das sind Fakten.
Der junge Mann neben mir hatte übrigens nach der Vorführung auch noch mit mir geplaudert. Ziemlich viel Wirres hat der wohl im Kopf, dass etwa der “Funke” für den zweiten Weltkrieg aus Wien gekommen sei, weil Hitler ja eine Zeit lang hier verbrachte, und derlei Bilder mehr. Und überhaupt. Wenn ein Spielfilm über historische Themen Propaganda sei, dann müßten es alle sein, weil ja alle irgendwie von einem bestimmten Standpunkt ausgingen. Überhaupt gäbe es keine Wahrheit, weil eh medial vermittelt.
Mediale Fundamentalskepsis im Verein mit revisionistischem Wirrkopf-Geschichtsbewußtsein hat etwas extrem Beängstigendes.