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- 14 05 2002 - 08:41 - katatonik

Lhasa, 4. Dezember 1936

»Der Yabshi Kung kam mit seiner Frau und seiner großen Familie zum Dinner. Diese von Filmvorführungen umrahmten Dinnerparties sind jetzt ein wichtiger Bestandteil unseres Lebens hier. Die heutige Party war typisch:
Unsere Gäste, die wir für sechs Uhr eingeladen hatten, kamen eine Stunde früher. Gould und Richardson entwarfen Telegramme, Nepean und Dagg waren mit dem Funkgerät beschäftigt, Chapman schnitt an einem Film und unser einziges Wohnzimmer zierten unzählige Filmausschnitte.
Norbhu gelang es jedoch, die Stellung zu halten, bis wir fertig waren. Die ganze Truppe bestand aus dem Herzog, einem schlanken und sehr kurzsichtigen, aber charmanten alten Aristokraten in den langen, gelben Seidengewändern eines Shape, dessen Gemahlin, einer schüchternen, eher rosigen Frau, die ihr Haar über eine korallenbesetzte, dreieckige Krone drapiert hatte und gewaltige Türkisohrringe, einen Amulettbehälter, sowie eine braun und rot gestreifte Schürze über einem exquisiten Gewand aus chinesischer Seide mit Drachenmustern trug, dazu etlichen erwachsenen Söhnen und Töchtern, wobei einer der ersteren ein besonderer Liebling des Regenten ist, und schließlich noch vier kleinen Kindern. Nach den Drinks – die Tibeter trinken, eher zögernd, Cinzano oder Limonade – gingen wir zum ersten Teil der Vorführung nach unten. Hier zeigte sich, daß etwas Ungewöhnliches im Busch war. Es wurde klar, daß Norbhu drei oder vier Mönchen aus dem Potala von der geplanten Filmvorführung erzählt und sie dazu eingeladen hatte. Aber etwa dreißig Mönche und dazu noch ungefähr die gleiche Anzahl Soldaten hatten den Raum >gestürmt<. Einige der Mönche hatten sich bereits auf den für unsere Gäste vorgesehenen Sesseln niedergelassen, und die ganze Menge blockierte jeden Zugang. Sobald alle Mönche auf dem Boden plaziert worden waren und unsere Gäste, etwas zusammengedrängt, ihren Platz eingenommen hatten, begannen wir. Zu Beginn zeigten wir etwas ihnen Bekanntes (einige hatten nie zuvor einen Film gesehen), nämlich einen von uns gedrehten Film über den Potala und den Markt von Lhasa. Darauf folgte Rin-Tin-Tin in The Night Cry. Dieser Film war in Lhasa ein gewaltiger Erfolg. Er ist einfach, bewegend, handelt von einem ihnen geläufigen Thema, und springt auch nicht ständig von einem Thema zum anderen, wie dies in modernen Filmen oftmals der Fall ist. Gegen Ende der fünften Rolle weinten die Frauen an den Schultern ihrer Nachbarinnen und baten Rin-Tin-Tin, dem Bösewicht doch in die Nase zu beißen. Nach einem Charlie Chaplin zur Aufmunterung gingen wir nach oben zum Dinner, und die uneingeladenen Mönche wurden hinausbefördert. Um beim Dinner den kleinen Raum voll auszunutzen, saßen wir mit dem Rücken an die Wände gelehnt auf dicken tibetischen Kissen, während eine Reihe von Vorspeisen auf den üblichen, niedrigen tibetischen Tischen serviert wurden. Unsere Gäste kamen mit fremdländischen Speisen weniger gut zurande als wir selbst, aber als Gould mit einem Armvoll Feuerwerkskörpern erschien, verbesserte sich die Stimmung in der Gesellschaft, und wir sahen voller Erstaunen ein vierjähriges Mädchen furchtlos mit einer Rakete in der Hand, während ihr sechsjähriger Bruder, dem man gesagt hatte, er solle sich genau wie sein Vater verhalten, mit offensichtlicher Begeisterung eine Zigarette rauchte.
Um acht Uhr gingen wir mit Papierhüten auf dem Kopf wieder nach unten, um die Filmvorführung fortzusetzen. Farbfilme über Tibet, mehr von Charlie Chaplin, die Hendon-Flugschau von 1929, Farbfilme von Sikkim, noch mehr Rollen über Tibet, und was sollte als letztes gezeigt werden? Nach kurzer Beratung wurde ein weiterer Chaplin vorgeschlagen. So endete die Party gegen 11 Uhr und nach einem letzten Drink bestiegen unsere Gäste ihre Ponies und ritten durch die klare tibetische Nacht nach Hause.«



Quelle: »Lhasa Mission 1936, Diary of Events,« 4. Dezember 1936, L/P&S/12/4I93, British Library, Oriental and India Office Collections, London.

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