Channel Islands
Marcus Hammerschmitt schreibt von den seltsamen Kanalinseln.
Ich war da so um 1988 im Sommer, für drei Wochen oder so, als mittellose Schlafsackträgerin. Bei meiner Einreise führte der Inhalt meines Portemonnaies beim Zöllner zu Lachausbrüchen, die allerdings entgegen anfänglichen Augenscheins dann doch nicht zu Einreisebegehrverweigerung führten.
Auf Sark kam ich bei einem netten Herrn mittleren Alters unter, dessen Eltern gerade verreist waren. Es gibt auf Sark keine Autos, übrigens.
Der nette Herr hatte mich in sein Haus eingeladen, weil meine Suche nach kostenfreier Heustadelunterkunft erfolglos in einem Pub endete und er dachte, eine alleinreisende junge Dame könne man nicht der Wildnis überlassen, die wohl vorwiegend aus seinen bierliebenden Insel-Kumpanen bestand. Einer der Kumpanen wäre bereit gewesen, mich in seinem Strohstadel unterkommen zu lassen, aber der nette Herr meinte, der Kumpane wäre sicher nicht frei von Hintergedanken. Nein, nein, da könnte ich nicht hin. So schlief ich also im pompösen Bett seiner Eltern, die einmal anriefen und von meiner Stimme am Telefon sicher etwas, sagen wir, überrascht waren. Ich war 19, übrigens. Auch der fast gleichaltrige Bruder des netten Herrn, seines Zeichens Inselbriefträger, fand meinen Aufenthalt sichtlich merkwürdig, blieb aber freundlich und nett. Nettigkeit schien in der Familie zu liegen.
Sonntags traf man sich auf Sark in einem Pub, nach dem Kirchgang. Ich rauchte damals Pfeife. Die graue Eminenz der Insel, eine herrische, ältere Dame, musterte mich streng. Ich gefiel ihr nicht. Ich gefiel wohl niemandem so recht, aber ich blieb und kümmerte mich nicht darum. Ich las und schrieb viel, meistens an den Klippen oder im lauschigen Garten eines Hotels, das immer leer war. Ich trank Tee bis zum Blasenschwächenharakiri. Die Hotelkellnerin, mit Nena-Generation I-Fransenfrisur, unterhielt sich mit gleichfrisurigen Herren. Es war still und lauschig. Das Meer verhielt sich gedämpft, war aber immer präsent. Die Weiden zitterten. Irgendwann reichte es mir, und ich verließ Sark im Ausflüglerboot.
Ebenfalls als mittellose Schlafsackträgerin durchstreifte ich die Inseln Jersey und Guernsey und wurde dabei sehr mißtrauisch beäugt. Ich frug Bauern, ob ich vielleicht in ihrem Heustadel nächtigen könnte. Entgeisterung ist ein milder Ausdruck für das, war aus ihren Gesichtern kam. Ich bekam beinahe Angst, sie würden mir die Polizei auf den Hals hetzen und mich wegen unverschämten Unterkunftsbegehrs in dunkle, normannische Inselgefängnisse sperren. Sommer in Jersey und Guernsey waren auf Klein- und Mittelwägen fahrende, teetrinkende Grauhaarpärchen ausgerichtet. Das war gespenstisch. Die Leute waren gleichermaßen freundlich und gereizt, wie man es oft erfährt in Gegenden, die vom Tourismus abhängig sind. Es schien vieles eng und unfrei zu sein, im Umgang. Ich hatte damals eine Stoppelglatze und rauchte Pfeife, übrigens.
Am nordwestlichen Spitz von Jersey stehen die Ruinen von Grosnez castle, erbaut im 14. Jahrhundert. Einen Steinwurf südlich davon sind ein paar deutsche Befestigungsanlagen der Küste aufbetoniert. Ich hatte vor gehabt, meinen Schlafsack dort ab- und mich hinzulegen, aber die Verbindung von Sonnenuntergang, Möwengekreisch, Nazibunkern und Normannenruinen war zu viel für mein zartes Gemüt. Ich flüchtete, den Küstenpfad entlang, und schlief auf einer Aussichtsbank mitten im Küstengebüsch ein. Aus der Ferne hörte ich Geschirrgeklapper des Grauhaarpärchen-Hotels und Musik der Hoteltanzband. Das war auch nicht so toll, aber beruhigender als finstere Nazibunker.
Auf Guernsey saß ich einmal abends, im Zwielicht, unter dem Neonlicht auf einem Pier und las Beckett. Um mich herum angelten Leute oder promenierten stumm. Das Strandcafé, in dem ich nachmittags mehrere Portionen Apfelkuchen gegessen hatte, war längst geschlossen. Als es sehr dunkel wurde, stieg ich die Böschung hinauf und bettete mich in einer Wiese. Morgens wurde ich vom Geräusch anfahrender Ausflüglerbusse mit Grauhaarpärchen geweckt. Ich aß Apfelkuchen zum Frühstück. Ein Bootsbesitzer versprach mir, wenn ich wiederkäme, würde er mich im Boot aufs Meer hinaus mitnehmen. Ich freute mich, kam aber dann doch nicht wieder.
Auf Jersey kam ich für ein paar Tage bei einem bärtigen Typ unter, der in einem Zelt im Garten eines ebenfalls wegen Ferien leerstehenden Hauses lebte und mir begeistert ein Tracey-Chapman-Tape vorspielte. Er hatte mich im Hafen angesprochen, als ich ziellos herumspazierte und mir die Schilder all der Firmen ansah, die dort steuerfreie Niederlassungen unterhielten. Der Bärtige pflegte den lauschigen Garten und hauste in seinem Zelt. Er mochte die Insel, aber nicht die Gesellschaft. Er kochte gut, und die Luft im Zelt roch streng. Wir sprachen über Geld und Politik, aber ich erinnere mich nicht mehr an Details.