Viecher, hie und da
KerLone referiert eine von Michel Foucault angegebene Unterteilung von Tiergruppen gemäß einer klassischen chinesischen Enzyklopädie:
“Tiere, die dem Kaiser gehören, einbalsamierte Tiere, gezähmte, Milchschweine, Sirenen, Fabeltiere, herrenlose Hunde, in diese Gruppierung gehörige, die sich wie Tolle gebärden, die mit einem ganz feinen Pinsel aus Kamelhaar gezeichnet sind, und so weiter, die den Wasserkrug zerbrochen haben, die von weitem wie Fliegen aussehen.”
Ich habe Foucaults “Ordnung der Dinge” nicht hier. Allem Anschein nach wird diese Taxonomie angeführt um zu verdeutlichen, wie unterschiedlich die Dinge eben in verschiedenen Kulturen geordnet werden. Vermutlich geht es dabei um noch spezifischere, theoretisch stärker aufgeladene Ordnungskonzeptionen, aber das kann ich jetzt nicht nachprüfen.
Interessant dazu: Christoph Kaderas, “Why sparrows and dragons belong to the same species – on the taxonomic method in old Chinese encyclopedias”. Kaderas zufolge rührt das in diversen westlichen Publikationen zitierte Schema übrigens von Jorge Luis Borges her. Es scheint nicht bekannt zu sein, ob diese Klassifikation tatsächlich in irgendeinem chinesischen Text vorkommt. Es gibt aber Texte mit ähnlichen Ordnungsschemata, und die untersucht Kaderas.
Kaderas meint, diese oftmals als “Enzyklopädien” bezeichneten chinesischen Texte wären eigentlich Referenzwerke, die Kandidaten für Beamtenprüfungen für die Abfassung ihrer eigenen Prosa und Poesie verwendeten. Sie enthielten vorwiegend Sammlungen klassischer Textstellen, ohne Kommentar. Deren Bilder und Anspielungen sollte der Kandidat im eigenen Schreiben nach Möglichkeit einflechten, um so seine Würdigkeit für ein Gelehrtendasein zu demonstrieren.
Die Klassifizierungen, die in solchen Referenzwerken auftreten, sind somit eng mit Normen für die Abfassung bestimmter literarischer Texte verbunden. Ihre Logik folgt Charakter und Aufbau chinesischer Gelehrtenprosa, und nicht der Ordnung und Identifizierung einzelner Tiergattungen, wie man es von zoologischen Handbüchern erwarten würde. Als Beispiel dafür, wie sehr gleichartige Ordnungsinteressen – etwa die der Wissenschaft – zu sehr unterschiedlichen Ordnungsschemata führen können, sind sie also nicht tauglich. Wofür sie dann in Foucaultschen Zusammenhängen noch tauglich wären? Was weiß ich.
falls du wissen willst, in welchem borges-text:
Jorge Luis Borges: Die analytische Sprache John Wilkins´, in: Ders.: Das Eine und die Vielen. Essays zur Literatur. München 1966, S. 212
gruß,
roland (Feb 24, 01:12 am) #
Danke schön. Kaderas gibt übrigens die Stelle im Original an: George (?) Luis Borges, “El idioma analítico de John Wilkins”, in: Otras Inquisiciones (Buenos Aires: Emecé Editores, 1960), p.142.
katatonik (Feb 24, 01:18 am) #
Warum fragt mich denn keiner? Dafür gibts doch die Kommentarfunktion...
Obwohl - ich habe ja auch keine Ahnung. Foucault setzt diesen Text an den Anfang seines Buches und meint, diesem Borges habe er zu verdanken, dass dieses Buch geschrieben wurde. Anscheinend hat ihn diese Ordnung völlig fasziniert und zugleich verwirrt. Er schreibt zwar einige Seiten dazu - aber ich verstehe nicht was er meint. Kostprobe:
"Diese Verdrehung der Klassifizierung, die uns daran hindert, sie zu denken, und dieses Tableau ohne kohärenten Raum erhalten von Borges als mythische Heimat eine präzise Region, deren Name allein für das Abendland eine große Reserve an Utopien bildet. China ist doch in unserem Traum gerade der priveligierte Ort des Raums."
Und so weiter. Meine Meinung: Es sieht nicht so aus, dass Foucault in irgendeiner Weise versucht hat, zu überlegen, warum die Chinesen früher diese Ordnung hatten. Er hält sie für absurd, und berauscht sich an ihrer Verwirrung, die sie stiftet. .
Dein Hinweis, dass der Text in einem anderen Zusammenhang verstanden werden muss, zeigt, wie schnell manche Philosophen Details weglassen und gar nicht erst bedenken, wenn sie ihrer fragilen Wortpoetik gefährlich werden könnten. Das ist nämlich der Punkt: Vielleicht war die Liste gar nicht als "Ordnung" gedacht. Und wenn ja, vielleicht steht hinter Ordnung in China ein anderes Konzept. Aber das wollte Foucault gar nicht ergründen. Ihm hat es gereicht, dass er die Ordnung eben gerade nicht verstanden hat.
Ach ja, ähem - die Kommentarfunktion zu Deiner linken Spalte versteh ich nicht. Bei mir zeigt sich da oben ein Link zu (dzt.) "4 Kommentaren", bei denen ich nicht weiss, wozu sie Kommentare sind. Bei den einzelnen Einträgen scheint es keine Kommentarfunktion zu geben, oder? Naja, deshalb hab ich das hier hingeschrieben. Ich habe darauf vertraut, dass Dich die geheime Referrer-Verbindung, die uns ja alle verknüpft, früher oder später hierherbringt ...
Das mit der Absurdität und der Unverständlichkeit von Fremdem ist so eine Geschichte. Oft zeigt sich, wenn man sich nur etwas länger oder intensiver mit den Dingen beschäftigt, dass sie ja durchaus verständlich sind. Man muß nur einen Schritt in den Kontext hinein tun, manchmal auch zwei. Dann hat man vielleicht nicht unbedingt einen chinesischen Begriff von Ordnung per se, aber man hat ein Beispiel dafür, wie Themen in gewissen chinesischen Literaturgattungen geordnet werden. (Dafür will "man", sprich Borges oder Foucault, vermutlich aber gar kein Beispiel; das wäre wohl eher enttäuschend: wenn sich das Absurd-Unverständliche im konkret Begreifbaren auflöst.)
Vermutlich ist das aber zu banal oder methodisch gedacht; es scheint bei solch Erstaunen über das Fremdartige, wenn es wie in der von Foucault zitierten Passage auftaucht, doch eher um ein Verharren in Überraschungszuständen zu gehen - sich bewahren zu wollen, dass man ganz und gar erstaunt und verwirrt ist. Das vielleicht sogar bewußt als Reaktion gegen den Impuls, der dann im nächsten Moment zu Verstehensversuchen führt. Vielleicht hat dieses Vorgehen ja eine methodologische oder philosophische Pointe. Merkwürdig jedenfalls. Ich bin mir nicht sicher, was ich davon halten soll - von dieser, wie mir scheint, Mystifizierung der Verwirrung.
jatatonik (Feb 26, 04:23 pm) #
Genau. Diesen Schritt in den fremden Kontext hinein, dafür ist eigentlich der Ethnologe da. Man ist diesem Schema, eine fremde Kultur verstehen zu wollen und in alle Überlegungen miteinzubeziehen, so verhaftet, dass man Bücher sofort wieder aus der Hand legt, die die Sichtweise der fremden Kultur nicht miteinbeziehen oder nicht erklären.
Sich zu verwirren, mag eine Methode sein. Aber ich habe inzwischen eine große Abneigung gegen Texte, die so eine poetische Wortzauberei aufbauen, die man mit Einwänden wie Deinem leicht zum Einsturz bringen kann.
Komisch. Vor drei Jahren habe ich von Foucault irgendein Buch über Normalität und Psychatrie gelesen. Und war begeistert, weil er eben dem Anderen, Fremden, in diesem Fall dem Kranken, bis zu einem gewissen Maß eine Relativität zubilligte. Außerdem hab ich den Text besser verstanden.
Möglicherweise sieht er den Chinesen ja auch aus so einer psychatrischen Persepktive. Mystifizierung der Verwirrung, da ist schon was dran.
Aber da hänge ich mich nun zu weit aus dem Fenster, ich verstehe von Foucault nicht sehr viel.
Ach, und die Komments in der linken Spalte sind aus technischen Gründen für einen Monat derselbe Link. Die linke Spalte ist ja mein wissenschaftliches Logbuch, und ich möchte es möglicherweise mal offline speichern. Dann kann ich so viel Quellcode nicht brauchen.
Und die Referrer - jaja. Mit eitelkeit fängt man Mäuse, könnte man in Weblog-Zeiten sagen.