Weichdrucksorgen
Eine Kabine neben der anderen, stellwandgetrennt, vorhangverschlossen. Zeitschaltuhren ticken die Patienten auf den Weg zur, naja, Besserwerdung, wenn man glauben soll. Weissgekleidete Therapeuten und -innen huschen auf knarzenden Birkenstockschlapfen zwischen den Kabinen hindurch, schieben Stromgeräte nach hie, tragen Moorpackungen nach da, scherzen miteinander, lauschen ergriffen Fischekeltiraden massierter alter Damen oder nehmen erfreut Apfelmusgeschenke strombehandelter alter Herren entgegen (und teilen den Herren beim nächsten Besuch mit, dass sie nach Apfelmusgenuss sofort den ganzen Tag aufs Klo …). Zeitschaltuhren klingeln, Stromtherapiegeräte piepsen.
Manchmal wartet man länger, manchmal gar nicht. Meistens gerät man an eine andere Therapierungsperson als das letzte Mal. Es gibt Patienten, die versuchen, Therapeuten zu abonnieren, aber das gelingt bei den hektischen Praxisrhythmen nicht. Es gibt Therapeuten, die ihrerseits versuchen, Patienten zu ihren Privatpatienten zu machen (Akupunkt-Meridian-Massage, 10 herrliche Minuten zum Anfixen und dann das Flugblatt mit der Privatnummer dezent auf den Hocker gelegt). Überhaupt ist vermutlich der einzige Anreiz für einen Physiotherapeuten, in so einem Therapiehühnerstall mit Massagebatterien zu arbeiten, dass man so an zahlungswillige Privatpatienten rankommt. Der Anwerbeeffekt, sie verstehen.
Mittlerweile schon die zweite Zehner-Einheit, unüberzeugt, aber was soll’s. Kieser-Training macht mehr Spass, aber es muss ja doch auch dieser oder jener Knoten wegmassiert werden, oder doch Shiatsu, oder doch die Privatnummer des Akupunkt-Meridian-Massageurs, aber lohnt das, wo doch die nächsten Monate viel gereist werden wird, tja, so rollt das Hirn hin und her und hastdunichtgesehen hat der Rücken ein paar Knoten mehr.
Heute ein historisches Ereignis: The massage man of death. Bisher waren alle Masseure und Masseusen eins a, wenn man von der rotblonden jungen Dame mit dem vorstehenden Hasengebiss und dem gebückten Gang absieht, die schon als Erscheinung keine Werbung für ihr Gewerbe ist. Sie bewegt sich wie eine Schnecke, Wartezeiten von bis zu zehn Minuten zwischen Moorpackung und Massage keine Seltenheit, nein, aber ihr Massagegriff ist in Ordnung.
Heute also ein neuer Masseur, ein recht attraktiver junger Mann. Kennen Sie so Leute, denen man die Hand ins Nichts schüttelt? Die mit diesem weichen Händedruck, voll kraftloser Scheinpassivität (die perfide Agressionen verbirgt, jaja)? Unheimlich wird mir immer bei solchen Weichdruckmenschen. Heute also der Weichdruckmasseur: Bewegungen auf meinem Rücken, die sich wie lauter weiche Händedrücke anfügen, lauwarm, kraftlos, dann aber unvermittelt hie und da ein Druck auf gewisse Stellen.
Zehn Minuten lang überlegt, ob ich etwas sagen soll, Ermunterndes natürlich, denn Klagen über Masseure hat während des Massagevorgangs sicher keinen guten Effekt. Mit Ichgebihmnocheinechance-Gedanken die Zeit totgeschlagen. Nun hat die Physiotherapeutenpraxis (die eigentlich eine Praxis physikalischer Therapie ist, jaja, ich weiss) also ein definitives Vermeidungsobjekt. Aber wie vermeidet man explizit einen Therapeuten? Die rufen einen ja immer so auf, wies grad kommt, zeit- und gelegenheitentsprechend. Das nächste Mal sagen: “Nein, Sie nicht?” Wegen Weichdruckgefahr die Praxis überhaupt meiden und fortan gebückt gehen? Oder doch einfach Shiatsu?