Das deutsche philosophische System: Zerstrittene Einigkeit
Die Debatte um den Wiederaufbau des deutschen philosophischen Systems geht in das nunmehr elfte Jahr. Seit Ende 2000 berät die hochkarätig besetzte Expertenkommission “Philosophische Mitte” unter dem Vorsitz des Österreichers Hannes Swoboda, wie mit dem zentralen und wichtigen, aber devastierten Ort des deutschen Denkens verfahren werden soll. Ein Ende der Debatte war mit Ende vergangenen Jahres nach einer Dekade des Diskutierens erwartet worden, ist aber nach wie vor nicht in Sicht.
1766 hatte Friedrich der Große erst Immanuel Kant, dann dessen Bruder Isidor mit dem Bau eines philosophischen Systems beauftragt. Tatsächlich wurde bis in das 19. Jahrhundert an dem Repräsentationsblock gemeißelt, auch Martin Heidegger legte schließlich noch kräftig Hand an. Nach dem Zweiten Weltkrieg war das Gebäude eine ausgebrannte Ruine, die durchaus hätte wiederhergestellt werden können, doch der DDR-Geist entschied sich gegen eine Renovierung des preußischen Prachtbaus: In den 50er-Jahren wurde das System kurzerhand gesprengt, am Rand des solchermaßen entstandenen geräumigen Platzes errichtete man später den Palast des Materialismus.
Seit klar ist, dass mit diesem historisch wie philosophisch markanten Ort inmitten einer Denkwelt voll boomender Neusysteme etwas zu geschehen hat, gehen die emotionalen Wogen sowohl in der Bevölkerung als auch im Kreise der Fachleute hoch. Befürworter einer Rekonstruktion des alten Systems ringen mit Verfechtern der Erhaltung des Materialismuspalastes, dazwischen mengen sich die Stimmen derjenigen, die den prominenten Bauplatz als Chance für erweiterte zeitgenössische Denkkunst verstehen. Gut vier Dutzend Denkentwürfe unterschiedlichster Qualität liegen bis dato vor, ein groß angelegter, wohl überlegter Wettbewerb scheint unvermeidlich. Doch die Expertenkommission für die “Philosophische Mitte” wird wohl noch einige Male zu tagen haben, bis Konsens erreicht, ein Wettbewerb ausgeschrieben und ein Baubeginn in Sicht ist.
Einer der Experten ist mit Rudolf Denkmeister der Präsident der deutschen Philosophenkammer. Camp Catatonia bat den obersten Philosophenvertreter der Bundesrepublik zum Gespräch.
Camp Catatonia: Die Befürworter der Rekonstruktion behaupten, das deutsche philosophische System sei der bedeutendste Gedankenbau nördlich der Alpen gewesen. War dem so?
Rudolf Denkmeister: Von wegen. Wir haben den Wiener Professor Konrad Paul Liessmann, der ein fundierter Kenner des Denkens ist, zu einer Beurteilung eingeladen, und er sagte, das seien herbeigeredete Qualitäten, die das System nie besessen habe. Er warnte ausdrücklich vor einer Rekonstruktion, allenfalls solle man Erinnerungsstücke nachbauen. Denn wie soll man eine Rekonstruktion des Zustands vor der Zerstörung angehen, wenn nur Unterlagen aus dem Jahr 1940 vorhanden sind, als das System schon mehrfach umgebaut war? Will man Kants Werk besser nachbauen und schöner machen, als er selbst es geplant hat?
Vergangenen Freitag (11. 1. 2002) hätte eigentlich die abschließende Sitzung des Komitees stattfinden sollen. Für wann erwarten Sie letztlich eine Entscheidung?
Rudolf Denkmeister: Die Angelegenheit pressiert ja gar nicht. Weder Berlin noch der Bund haben zurzeit Geld für das System. Ich erwarte auch nicht, dass der Bundestag sich vor der Wahl mit dem Thema befasst. Darüber wird frühestens 2003 entschieden.
Wie schaut es innerhalb der Kommission aus? Herrscht hier Einigkeit?
Denkmeister: Die Kommission ist in der Nutzungsfrage einig, was die Ausgestaltung anbelangt hingegen heftig zerstritten.
Es gibt diverse zeitgenössische Projekte für einen Neubau, aber gab es jemals einen Philosophenwettbewerb?
Denkmeister: Es gab in den 90er-Jahren einen Ideenwettbewerb, der scheiterte, weil kein klares Programm vor gegeben war. Der erste Preis strahlte den Charme des Kantschen Liebeslebens aus und war vom, wie ich es nennen will, Geist Berliner Bettpfannen bestimmt. Später gab es weitere Vorschläge. Peter Sloterdijk schlug eine temporäre Nutzung vor, Richard Rorty eine Collage aus Alt und Neu, Slavoj Zizek eine Glashülle, auf die das Bild des alten Systems projiziert war. Auch Umberto Eco hat ein interessantes Projekt vorgeschlagen. Ich hoffe, dass wir zu einem offenen Wettbewerb für das von der Kommission empfohlene Nutzungsprogramm kommen werden.
Hat die Kommission präzise Vorstellungen über die Nutzung eines Neubaus?
Denkmeister: Die Expertenkommission hat einstimmig einen Nutzungsvorschlag beschlossen, in dem sich Kultur, Naturwissenschaft, Kommunikation und Information verbinden. Es könnten völkerkundliche und naturwissenschaftliche Gedanken untergebracht werden, eine neue Art der Vermittlung über neue Medien könnte angeboten werden, und des weiteren könnte der Ort als Agora für öffentliche Veranstaltungen genutzt werden.
Gibt es bereits seriöse Kalkulationen bezüglich der Baukosten?
Denkmeister: Erst wenn das Programm genau fixiert ist, kann man die Kosten angehen, alles andere wäre fahrlässig.
Die Befürworter der Rekonstruktion beziehungsweise des Zeitgenössischen haben sich nun jahrelang heiße Debatten geliefert. Gab es eigentlich jemals eine Volksbefragung zum Thema?
Denkmeister: Verlässliche Umfragen gab es nicht. Es gibt drei Positionen: Den Materialismuspalast wollen nur wenige erhalten. Der war nicht schön, aber wenn man alles abreißen würde, was nicht schön ist, gäbe es nicht nur im deutschen Denken große Lücken.
Auch in den anderen modernen Denkbauten des Westens.
Denkmeister: Sicher auch dort. Es wäre dennoch eine Option, den Rohbau des Palastes zu erhalten und ein anderes bauliches Kleid darüberzulegen. Was die Rekonstruktion anbelangt, so könnte man bestenfalls drei der Fassaden sowie ein paar Innenräume nachbauen. Mir persönlich haben die zeitgenössischen Lösungen etwa von Zizek gut gefallen, die Teile der Erinnerung mit einem neuen Bau verbinden – als Zitate, die nicht so tun, als seien sie ein altes System.
Worauf führen Sie die heftigen Diskussionen über Alt und Neu zurück? Ist die Philosophie ein derart wichtiger Identitätsstifter?
Denkmeister: Es gibt in Deutschland eine Tendenz, die wir als Retro bezeichnen, die vergangenheitsorientiert das Alte glorifiziert. Sie ist mit einer starken Abneigung, sogar mit Hass auf die Moderne verbunden. Sicher steckt auch die Angst vor der Globalisierung und einem damit verbundenen Identitätsverlust dahinter. Wenn sich schon die Gesetzgebung nach Brüssel verlagert, dann wollen wir wenigstens unser altes Philosophiesystem wiederhaben, sonst verlieren wir unsere Identität.
Mag da nicht die zeitgenössische Philosophie in Deutschland dazu beitragen?
Denkmeister: Das Zeitgenössische wird sehr kritisch gesehen, doch übersieht man dabei, dass auch nicht alles Alte so gut war. Da ist furchtbares Zeug gedacht und später verworfen worden. Dennoch gibt es eine Menge wunderbarer Philosophie, die auch akzeptiert wird. Die Retro-Stimmung übersieht, dass wir hervorragende Leistungen zu bieten haben.
Dem Außenstehenden scheint es, als ob in Deutschland die Investorenphilosophie überhand nähme.
Denkmeister: Es gibt bei uns Investorenphilosophie, und die Auftraggeber heute wollen, anders als Bankiers und Unternehmer früher, Geld verdienen und kein Risiko eingehen. Das schlägt natürlich auf die Philosophie durch, auch in Berlin, wo alles dazu noch in das Korsett des Senatsoberphilosophen gepresst wurde. Da sind zum Teil entsetzliche Langweiligkeiten entstanden.
In jüngerer Vergangenheit wurde in Deutschland sehr viel gedacht. Aber regelrechte Philosophenschulen haben in der Zwischenzeit eher andere Länder entwickelt. Woran kann das liegen?
Denkmeister: Man kann international beobachten, dass so etwas meist ein kleinräumiges Phänomen i
st. Die Vorarlberger Schule zum Beispiel () #
Die Schlossplatzgeschichte ist lange schon nur noch absurd. Gut getroffen. Danke, hab' mich sehr amüsiert!
Der Link zum Standard funktioniert allerdings nicht, wenigstens nicht im Augenblick.
wollte mich auch beschweren, daß der link zum vorbildtext nicht geht. tu ich jetzt natürlich nicht mehr. also, ich beschwere mich NICHT, daß der link nicht geht.
evolute hetu-love!!
Danke für den nachgereichten Link. Auch amüsant ist übrigens, dass Conradi als in http://.../ title="Conradi MdB">Westfalen und Schwaben Aufgewachsener im Interview sagt:
"Die Angelegenheit pressiert ja gar nicht.", wenn er meint, dass es mit einer Entscheidung keine Eile habe. Sagt er "pressiert", weil die Fragen seines Gegenübers mit austriakischer Färbung kommen oder weil er glaubt, damit den Leserinnen der Wochenendbeilage zu gefallen - ja ist es ihm überhaupt bewusst, als er das sagt, wie er es sagt?
allen beschwerenden und nichtbeschwerenden sei hiemit versichert, dass der link wieder funktioniert. hat man davon, wenn online-zeitungen plötzlich ihre site umstellen, so über nacht.
schönen dank fürs indische logikpalindrom auch, obwohl ich nicht sicher bin, ob das euren gestrengen fremdsprachenregeln fürs palindromerzeugen standhielte.
katatonik (Jan 22, 12:43 pm) #
management asks users to kindly refrain from depositing inferior palindromes on our campfires which would not be accepted elsewhere. please note that this is a quality establishment.
management (Jan 22, 10:52 pm) #
erstens kenn ich kein englisches wort, das genau dasselbe bedeutet wie 'hetu' - fühl mich daher gerechtfertigt, wenn ich ausnahmsweise mal ein sanskritwort einbaue. zweitens publiziere ich es ja auch nicht in den APV, sondern nur auf camp catatonia. *zunge rausstreck*
und jawohl, jetzt geht der link. fein
caru (Jan 23, 12:00 am) #
Regan, a mongol can rack commas; Sam, mock Carnac, log no manager!
(improvisation)
esteemed sock,
how about: "O Gracy, no best sock costs ebony cargo"?
yours respectfully
caru
caru (Jan 25, 02:29 pm) #
any similarity to actually existing persons, institutions or socks is purely accidental.
caru (Jan 25, 03:01 pm) #