Kampf um die Stadt, Ausstellung, Wien, Künstlerhaus
Wien, zwischen den zwei Weltkriegen, Kampf um die Stadt. Verlust des Reiches, allmähliche Umnachtung des urbanen Wasserkopfes Wien durch Älplertum im auch geistig geschrumpften Umland sowie natürlich auch andere geistige Schrumpfungsprozesse der Zeit. Ein paar Splitter hier notiert.
Dramatisierte Grafik im politischen Propagandaprakat, Tracht und Brauchtumspflege im Kampf gegen die (linke) Politisierung (aber auch: “Arbeitertrachtler”), Massenaufmärsche von Militaristen, sie unterstützenden Priestern und Nonnen im Ornat.
Sozialistischer Städtebau und dessen Diskutabilität (Kritik an großen Wohnbauprojekten der 1920er Jahre als monumentale Repräsentationspaläste durch Verfechter luftiger, aber peripherer Gartenstädte). Elektrifizierung der Stadt – Ansichtskarten mit magisch strahlenden Lichtpunkten in der dunklen Stadt, Lichttourismus, Reisen zu den Leuchtpunkten.
Einführung der Kurzstreckenkarte in den Straßenbahnen. Betonung, dass man mit der Kurzstreckenkarte nur auf Plattformen mitfahren dürfe, auf denen Rauchen nicht gestattet sei (impliziert: in den regulären Wagen durfte geraucht werden). Humoristische Plakate zur Aufforderung der Verkehrsmittelbenützer zum Wohlverhalten: Sitzplatz an Ältere, und, übrigens, Pfeifen von Liedlein stört die anderen! (Pfeifen im ÖPNV, die Klingeltonplage der 1910er.)
Erstaunt, dass praktisch alle der großen städtischen Wiener Bäder (Kongreßbad, Amalienbad, auch viele Kinderfreibäder, die es heute nicht mehr gibt) in recht kurzer Zeit während der 1920er Jahre errichtet wurden. (Architekturmodell des Amalienbads mit dem berühmten Glasdach, das geöffnet werden konnte, im 2. WK zerstört).
Nicht gewusst, dass die Höhenstraße ein austrofaschistisches Prestigeprojekt war.
[Gegenüber der Radiopropaganda der 1930er Jahre ist Radio Niederösterreich heute ein politisch aufgeklärtes Medium.]
Gustav Deutsch montierte “Home movies” zusammen, gedreht mit der “Pathé Baby”. Tonlose Familienausflüge der Wohlhabenden, Puppi und Mausi, Daddy mit der coolen Sonnenbrille der 1920er Jahre, alles sehr Lucino-Visconti-mäßig. Eine unglaublich glücklich und schön aussehende alte Dame, oder Frau, in Kittelschürze, umflort von ihrem weißen Haar, lachend mit strahlenden Augen.
Viel, zu viel zu sehen. Im Erdgeschoß der Ausstellung dann der Eindruck der Lieblosigkeit, Anhäufung, Aneinanderreihung schon irgendwie interessanter Exponate zu Standards der Wiener Stadtkultur, die halt auch irgendwie vorkommen mussten (Kabarett, Varieté), ohne die feine Hand, die die stärker historischen Teile der Ausstellung im ersten Stock zu einem Fluss formte (auch dort allerdings mitunter der Eindruck, dass einzelne Exponate abhaken, was gesagt werden muss: Arbeitslosigkeit, Marienthal, urbanes Elend). Aber das mag an kognitiver Überforderung gelegen haben.
Allgemeine Texte in den einzelnen Räumen auch auf Englisch, Texte zu den einzelnen Exponaten nur auf Deutsch.