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- 5 10 2023 - 21:49 - katatonik

Zwischenstopp

Noch geht das, dass man sich im Café Ritter draußen hinsetzt, wo vier, fünf Tische stehen vor dem Lokal, auf einer Fläche, die so den Fluchtpunkt Mariahilfer Straße hat, wo viele Menschen vorbeilaufen, es gibt immer etwas zu sehen, Rollkoffermodelle zum Beispiel, Exzentriker, Frauen mit weißen Haaren und schwarz gerahmten Brillen, was einem so auffällt; auf der Mahü steht ein Chor und singt was Amerikanisches; vermutlich Christen. Eine mit hellgrauen Haaren sitzt am Nebentisch, Kärntner Dialekt. Ihre Freundin kommt, überschwängliche Begrüßung, die erzählt ihr dann sehr detailgetreu von einer Serie auf Arte, ein herzliches Gespräch, aber nix für mich, danke, ich würde lieber was anderes hören; es ist ihnen dann eh zu kalt, und sie gehen rein.

Es kommen zwei andere, jüngere Frauen, es ist so ein Nach-dem-Sommer-Wiedertreffen, überschwänglich, herzlich, aber auch abcheckend. Es geht ums Aussehen, um die Frage, ob man hohe Schuhe tragen könne und wie man dabei aussehe, und die eine zur anderen, also sie, die eine, könne das ja nicht, sie würde dann gleich so groß aussehen, aber sie, die andere dagegen, also wie ein Model, und die andere, also nein, sie doch kein Model, also echt nicht. Als ich schon denke, die könnten jetzt auch reingehen, es ist ja kühl, vielleicht kommt noch was Unterhaltsameres, da kommt dann plötzlich ein schwer verständlicher Obdachloser vorbei, er kann schlecht gehen, er kann schlecht sprechen. „Zigarette“ hört man, höre ich, aber die drei jungen Männer, Amis, an dem einen Tisch da vorn verstehen nicht, was er will. Die blondierte von den zwei jungen Frauen versteht aber, steht einfach auf und geht nach vorn und gibt ihm eine Tschick, ganz selbstverständlich, ohne irgendwas. Dann geht er, und das war’s, und die drei jungen Amis entschuldigen sich bei ihr dafür, dass sie den Obdachlosen nicht verstanden haben, und das führt zu ein, zwei freundlichen Wortwechseln, und das war’s. Made my day.

Es kommt dann noch eine dritte junge Frau, die anders als die zweien keinen Alk trinkt heute, auch das selbstverständlich, wird nicht weiter kommentiert, ist so. Es geht dann darum, ob die Pfefferminzteetrinkerin in Kroatien tatsächlich mit dem einen Typen, den die anderen in sozialen Netzwerken auf ihren Reisefotos bemerkt hätten, also der sei ja aufgefallen, also hat sie jetzt mit ihm oder nicht. Also an dem Tag nicht, da kam’s nur zu etwas Geknutsche, dann wieder zurück ins Zimmer, das sie mit einer anderen geteilt hatte. “Host wenigstens mit dea wos g’hob’t”, fragt die zweite, und ich will schon fast vom Nebentisch rein-high-fiven.

Also später hatte sie dann wohl doch was mit dem Typen, und die Erzählung läuft langsam darauf zu, schmerzlich langsam, so viel Zeit hab ich auch wieder nicht. Und ich hab schon gezahlt, da kommt sie langsam zum Punkt, aber ich befürchte, meine Ohren fallen schon als zu spitz auf, da am Nebentisch, man will ja nicht indiskret sein, aber ich würde schon gern wissen, wie sie erzählt, wie’s dazu kam, und was sie darüber sagt, aus rein dokumentarischem Interesse natürlich, als Chronistin der Zeit, Sie verstehen. Aber ich bin ja diskret, und so gehe ich also, bevor sie davon erzählt, aber ihr Lächeln sagt, es war fein, das ist schön, sowas ist doch belebend im herbstlichen Sonnenuntergang.

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