Staatsmann laviert, Journalist protokolliert
Ein ausführliches Interview mit dem österreichischen Bundeskanzler Wolfgang Schüssel erschien in der (ich glaube, letztwöchigen) Ausgabe der “Weltwoche” (nicht online, nichtmal landsorttiefmäßig).
Unverständlich ist: Der Kanzler breitet sich als Staatsmann sanftweich und schleimschlammig am Terrain der “man muß ja differenziert betrachten”Flachebene der Europapolitik aus so muß man etwa das Aufkommen von Rechtspopulisten in diversen Ländern wie Dänemark oder Frankreich ganz differenziert betrachten -, und keiner der beiden Journalisten befragt ihn danach, wie’s denn in Österreich aussähe mit Rechtspopulismus und FPÖ oder so. Der Kärntner Landeshauptmann wird erwähnt, ganz kurz nur; man hat fast das Gefühl, die Journalisten würden sich dafür entschuldigen wollen. Der Staatsmann laviert, der Journalist protokolliert. Anderes Thema.
Unverständlich ist: Der Kanzler geriert sich als kosmopolitischer Teamspieler, dem die Multiethnik in die erweiterten Pupillen geboren wurde, und kein Mensch fragt ihn, wie all diese Offenheit denn mit diesen bescheuerten Pseudo-Immigrationsgesetzen vereinbar wäre, die seine Regierung gerade verabschiedet hat.
Zum Thema Vielfalt in Europa fiel den Schweizer Journalisten übrigens gerade noch die bange Frage nach einer dräuenden Vereinheitlichung der EU-Finanzgesetzgebung ein. Echt, kein Witz.
Die "Weltwoche" ist nicht unbedingt das journalistische Referenzprodukt der Schweiz. Man kann nur hoffen, dass Herr Schüssel nicht der Referenzösterreicher ist.
gHack (Jul 19, 01:20 am) #
Klar. Aber Referenz hin oder her, von der Weltwoche hätte ich mir doch sehr viel mehr erwartet.
Die Weltwoche ist ein sehr verwelktes Blatt. Schreibe ich ja schon seit Wochen. Es liest nur keiner hin. Ich habe gerade die aktuelle Ausgabe gekauft. Es steht wieder nichts Interessantes drin.
gHack (Jul 19, 01:29 am) #
Neinnein, wir lesen schon hin, aber wir lesen auch selber.
In der Ausgabe, die ich heute zum Abendessen las, gab's eine gute Reportage von Isabelle Hilton über Kashmir, einen merkwürdigen Text über Salman Rushdie über Islam & Westen, und einen quasigen Schwammtext von jemandem, dessen Name mir entfallen ist, darüber, dass der Islam wegen seiner Rationalität (und nicht etwa, weil er irrational wäre) im Westen so mißtrauisch beäugt würde. Der Text war von vorn bis hinten daneben.
Die Reihenfolge der gelesenen Texte (gut - merkwürdig - daneben) könnte auch mit der typischen Appetitreihenfolge meines Abendessens zu tun haben. Die ersten verhungerten Bissen waren wunderbar, dann setzte Sättigung ein (es war immer noch gut, aber etwas seltsam im Vergleich mit dem wunderbaren Geschmack von zu Anfang), und die letzten waren nur noch daneben.
Ich hoffe, Du schläfst jetzt endlich.