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- 4 08 2002 - 11:10 - katatonik

Entpolitisierung: damals; Republik: heute oder morgen.

“Das Demokratieverständnis der österreichischen Verfassung ist getragen vom Prinzip des ideologischen Pluralismus und hat, abgesehen von gewissen Tendenzen zum Präsidialsystem und direkt demokratischen Elementen, die später verstärkt wurden, die Gestalt der repräsentativen Demokratie. Ihr Architekt Hans Kelsen hatte das Ideal des parlamentarischen Verfahrens vor Augen, mit seiner auf Rede und Gegenrede abgestellten Technik, die einen Kompromiss zum Ziel hat. Demokratie ohne Parteien war für ihn “Selbsttäuschung oder Heuchelei”. Kelsen war der Meinung, gewisse politische Probleme ließen sich auf gerichtlichem Weg lösen, und sah dafür die Einrichtung eines Höchstgerichts vor, das die Einhaltung von Gesetzen kontrollieren und prüfen soll, ob sie mit der Verfassung in Einklang stehen.
Als der Verfassungsgerichtshof (VfGH) im Jahr 1929 zugunsten der Möglichkeiten der zivilen Scheidung der Ehe entschied, waren die Christlich-Sozialen empört. Auch entsprach die Zusammensetzung des Gerichts nicht mehr den politischen Kräfteverhältnissen. Mit Zustimmung der sozialdemokratischen Opposition, die wohl unter dem Druck der bewaffneten Heimwehr zustande kam, wurden die Richter entlassen und neue eingesetzt. “Entpolitisierung” nannte man das damals. Später genügte auch das nicht mehr. Entscheidungen des VfGH wurden zusehends als irrelevant abgetan. Die austrofaschistische Regierung löste den VfGH auf.
Die Idee der “Dritten Republik”, die Haider einmal vorgeschwebt war, lässt den VfGH links liegen. Das dynamische Element steckt im direkt gewählten Kanzler-Präsidenten, der seinen Wählern verpflichtet ist und sich auf den Volkswillen nach eigener Interpretation berufen und durch ein Misstrauensvotum des Parlaments nicht abgewählt werden kann. Diese exklusive Führer-Volk-Beziehung charakterisierte ÖVP-Klubobmann Andreas Khol einmal als “präfaschistisch”.
Wann eigentlich hat sich Haider davon verabschiedet? Im Jahr des Wendewahlkampfs 1995, als die ÖVP erstmals eine Zusammenarbeit mit den Freiheitlichen erwog, sagte Haider bei einer Festveranstaltung, es müsse ja nicht unbedingt “Dritte Republik” heißen: “Sagen wir halt Demokratie.” Zwei Jahre später, als die rot-schwarze Koalition wegen der CA-Krise am Abgrund stand, erklärte Haider “den Begriff der ‘Dritten Republik’” für “uninteressant”. Das, was er wolle, könne er auch unter “Republik Neu” transportieren. Dann erschien sein Buch “Befreite Zukunft”. Im Kapitel “Revolution für das Recht” gestand er, er sei einem “Trugschluss” aufgesessen. Der demokratische Neubeginn sei ohnehin von der Verfassung vorgesehen. Diese enthalte “alle rechtlichen Mittel, um eine friedliche demokratische Revolution möglich zu machen. Unsere Ideen für eine Staatsreform unter den Titel ‘Dritte Republik’ zu stellen ist nicht notwendig.”

Christa Zöchling: “Haider und sein Volk”, profil 04/2002, 24.1.2002.

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