<a href="http://empire.antville.org/stories/364107/">Minima disziplinaria</a>
Der Professor hatte Kontakt mit dem Professor aufgenommen, der seinerseits Kontakt mit mir aufnahm. Das war nicht schwer, da ich am von ihm geleiteten Institut wenige Monate zuvor ein Zimmer bezogen hatte. Zum Tee wären wir geladen bei Frau Soundso, er und ich und eben der andere Professor. Ja, klar, warum nicht. Termin vereinbart. Tee.
Das soziale Verhältnis war spiegelglatt proportional: Der eine Professor war zu mir, was der andere zu Frau Soundso war. Im Jargon der forschungsfördernden Institution hieß das “Mentor”, im Jargon des zur Forschungsförderung führenden Verfahrens hieß es “Mitantragsteller”. Das letzte Mal, als ich unter solch gespiegelten Proportionsverhältnissen sozial tätig war, muß wohl in meiner Kindheit gewesen sein. Besuch bei Spielkameraden mit Mutters. Mutter und Mutter, Spielkind und ich. Spielkindmutter und Spielkind, meine Mutter und ich.
Frau Soundso war Psychoanalytikerin, ihr Mann Künstler. Sie lebten in einer inner-, aber nicht ganz innerstädtischen Wohnung in Wien. Ich kam, denke ich, allein an, da mein Sozialspiegelseitenpartner noch zu tun hatte. Während wir noch bei Begrüßungsszenen waren, wurde mit dezenter Freundlichkeit im Hintergrund eine Hausangestellte verabschiedet. Sofort fühlte ich mich genötigt, dezent-freundliche Bemerkungen über Einrichtung, Ausstattung und Wandbehangskunst zu machen. Da mir aber nichts einfiel, nichts zum dunkel knarzenden Parkett, zu den in die Wand eingelassenen Glasvitrinen mit nicht antiken, nicht modernen, aber spürbar besonderen Gegenständen, zu den geschwungenen Dunkelholzmöbeln und den vollbebildbandeten Buchregalen, verblieb ich im Zustand ungelöster Genötigtheit, der nicht angenehm ist.
Die Professoren kamen an, einer nach dem anderen. Beide näselten wienerisch und verzogen die Vokale (“heaaaaalich”). Das Wetter, jaja, der Regen, unangenehm. Aber diese Wohnung, heaaalich. Es gab Tee und frisches Kletzenbrot. Vom Naschmarkt, ja, ganz frisch. Ist ja jetzt die Zeit dafür, oh, heaaalich. Psychoanalytikerin sind Sie? Ein kleiner Professorenscherz über die Couch, eine typische Analytikerliege nach Freud-Museumsart. Leicht schnaubendes Gelächter, tonlos. Ja, sehr orthodox wäre sie, sagte Frau Soundso, ganz streng freudianisch. Dabei schwang sie den dunkelroten Schal elegant über ihre Schulter und lächelte ein bisschen verschmitzt. Einer ihrer Nachnamen war italienisch. Ihr Akzent auch. So, Künstler sind Sie? Maler, ja, auch Computerkunst. Hin und her, die Wohnung, der Naschmarkt, und der eine vom Paar spricht und die andere und beide reden sie immer von einem dezent-freundlichen Wir. “Wir fahren ja mindestens einmal pro Jahr nach Italien, nicht.” – “Heaaalich”.
Es ging um die Bekanntmachung der beiden Jungwissenschaftlerinnen. Frau Soundso spielte mit dem Begriff des Mentalen bei Freud, ich spielte mit Bewußtseinskonzeptionen bei altindischen Buddhisten. Ich erkundigte mich nach ihrem Projekt und hakte, als sie von ihrem Versuch, Freud unter Zuhilfenahme zeitgenössischer analytischer Philosophie zu beleuchten, nach, nach Namen fragend, nach Werken, mir bekannte Namen sagend, und Werke. (“Du, wie heißt dein Lego-Auto? Meins heißt Soundso.”) Mehr fiel mir nicht ein. Ich begann mich zu fragen, weshalb die Psychoanalytikerin mit der Gediegenheitsluft in ihrem Wohnungs-Praxis-Kombinat ein Forschungsförderungsprogramm benötigte, das zur Erhöhung der wissenschaftlichen Karrierechancen von Frauen an den Universitäten diente, und konnte mir nur antworten, dass das eine blöde Frage wäre, die die Logik der dem Programm inhärenten paternalistischen Frauenförderung replizierte. (“Bei einem Mann würde sich das keiner fragen, blabla.”)
Irgendwann war die Zeit zu gehen gekommen, irgendwann setzte einer der beiden Professoren ein kleines Signal – die Tasse ab, die Hand vor ein angesetztes Gähnen -, das erst der andere aufnahm und dann wir. Mutters waren damals brutaler, da hieß es einfach, so, jetzt gemma, komm, einpacken das Lego.
Beim Hinausgehen wurden die fast schon gewesenen Gäste durch das mit hellen Büchern und zerzaustem Künstlergut bestellte Nebenzimmer geführt. Auch Bilder hingen da, jaja, und wieder diese Genötigheit zum Kommentar, zur Würdigung, die wieder ungelöst blieb und wieder unangenehm.
Es begab sich, dass er, der andere Professor, und ich, gemeinsam zur U-Bahn-Station gingen. Leise respektvolles Plaudern, ein paar Witze. Mit den alten Professoren ist es immer so, ein Gegehe neben bemäntelten Herren, ein leichtes Geplaudere und leises Gewitzel, und immer meine ich, sie auf der Straße vor schnell herbeirollenden Skateboards, leicht übersehenen roten Ampeln, verpassten Abbiegenotwendigkeiten und unversehens anrempelnden Matronen beschützen zu müssen, während sie von ihren allerorten verstreuten Kindern, überall gelesenen Büchern und heimtückisch hinter jedem Busch lauernden Bürokraten reden.
Von Frau Soundso habe ich seither nichts gehört, sie hat von mir seither nichts gehört. Ein paar Mal kam ich zufällig an ihrem Wohnhaus vorbei und fühlte mich zu irgend etwas genötigt.
Der andere Professor lud mich einige Monate später als Vortragende zu einem Teil eines mehrteiligen Symposiums, das ein Unternehmer in einem Weinbauort nahe Wien veranstalten ließ. Der Weinbauort schien ganz in Hand des Unternehmers zu sein; sein Unternehmens-Label war überall zu lesen, auch einen eigens angelegten Pfad gab es da, mit, so glaube ich mich zu erinnern, magischem Gestein und übersinnlichem Gelicht. Etwa zwanzig Symposiumsteilnehmer, hauptsächlich Philosophen aus dem deutschsprachigen Raum, saßen in einem Sitzungsraum im Gemeindehaus und trugen vor und diskutierten in nüchtern-gediegener Nachnamenreverenz (“wie Meier schon sagte …”).
Zu Abschluß dieses Symposiumsteils gab es einen öffentlichen Vortrag des Professors selbst. Es kamen viele Weinbauortbewohner und alle Symposiumsteilnehmer. Der Professor sprach locker, gewandt und mit leicht nasalem Witz über das Leitthema des Symposiums. Dann setzte er sich ans Klavier und spielte von ihm selbst komponierte Stücke klassischer Natur. Es war schön.