Von Österreich
Verwunderlich: wie einig man sich zu sein scheint, dass das Ergebnis der österreichischen Nationalratswahl 2008 natürlich keinen empörten Aufschrei rechtfertigt, dass diese Ösis Nazis wären, oder zumindest rechtsradikal. Wie einig man sich retrospektiv darüber ist, dass auch 2000, als ein ähnliches Wahlergebnis zu Sanktionen einiger EU-Staaten geführt hatten, das Verdikt ungerechtfertigt war.
Laut vorläufigem Endergebnis haben 29% der Wähler (Wahlbeteiligung 71,5%) zwei Parteien gewählt (FPÖ, BZÖ), die politisch weit rechts stehen. Zum Vergleich: bei der letzten Wahl 2006 (Wahlbeteiligung 78,5%) kamen beide Parteien gemeinsam auf 15,1%.
Im Vordergrund ihrer Programme stehen Positionen der Art, dass kriminelle Asylwerber sofort abgeschoben werden sollten, dass Österreich kein Asylland ist und der Asylmissbrauch gestoppt gehöre, dass Sozial- und Krankenversicherungsleistungen auf österreichische Staatsbürger eingeschränkt werden sollten, dass der Islam uneuropäisch sei und überhaupt, dass Österreich für die Österreicher österreichern solle, und zwar so Österreich, wie nur österreicht.
[Die beiden Parteien unterscheiden sich in ein paar Punkten, aber nur geringfügig.]
In Wahlanalysen ist viel davon zu lesen, dass die Verluste der großen Volksparteien und der große Stimmengewinn der Rechtsfuzzis als Protestwählerschaft zu sehen sei: Die Leute waren unzufrieden mit den Regierungsparteien ÖVP und SPÖ und haben halt blau (FPÖ) oder gelb (BZÖ) gewählt.
Rechtsradikal? Nein, heisst es dann manchmal, das sind nur die Globalisierungsverlierer, die armen Omas mit Mindestrente, die Hackler mit den vielen Kindern. Die sind doch nicht rechtsradikal.
Wieso eigentlich nicht? Was ist man, wenn man möchte, dass seit Jahrzehnten hier lebenden oder hier geborenen, arbeitenden, Steuer zahlenden (ich hasse diese Rhetorik, übrigens) Menschen der Zugang zum Gesundheitssystem abgezwackt wird? Von Schlimmerem ganz zu schweigen. Ist politische Analyse jetzt eine Frage der verstehend-einfühlenden Psychologie, die rechtsradikale Unterschichtwählerei (nicht, dass es die in oberen Gesellschaften nicht auch gäbe) auf Schlichtheit im Gemüt zurückführt? Oder eine Frage des sozialen Determinismus, der dafür mangelnden Zugang zum Bildungssystem verantwortlich macht? (Als wäre der ungebildete Arbeiter immer ein Nazi gewesen und müsse einer bleiben.)
[Siehe auch].
Nachtrag: Elisabeth Nemeth, Philosophin und Vorstehende des Instituts für Philosophie der Univesität Wien, schreibt einen Kommentar zur Wahl im Standard. Der Befund des Scheiterns der letzten Regierungen leuchtet ein: Menschen in Österreich werden damit konfrontiert, dass sie weniger verdienen und schlechter leben, während die Reichen reicher werden und die Regierung stolz verlautbart, wie toll Österreich ist. Das erklärt, warum bisherige Regierungsparteien abgewählt wurden. Es rechtfertigt nicht den Weg nach rechts.
Diese Diskussion birgt Distinktionspotential, ist aber sinnlos. Unter gegebenen Bedingungen ist es unmöglich, anders als rechts zu wählen.
Die rechtsradikal genannten Listen sind radikal nur ihrer Rhetorik nach. Sie stellen ihre Programme und Parolen ausschließlich darauf ab, was der Nationalstaat und die ihn tragenden Parteien auch so organisieren: Abgestufter Zugang/Ausschluss verschiedener Gruppen von Menschen zu 1. Aufenthalt und 2. Lohnarbeit bzw. ersatzweisen Zahlungen und Diensten (bei den so genannten Fremden also auf der Skala Profisportler mit multipler Staatsbürgerschaft über Erasmus-Stipendium bis gewaltsame Abschiebung).
Rechtsradikale Parteien/Listen leben vorwiegend vom Appell an die Niedertracht (oder den niederträchtigen Kern der Staatlichkeit?) und müssen dafür auf den Appell an (bildungs)bürgerliche Lebenslügen verzichten. Dass die Rechtsradikalen den hiesigen “Demokratien” prinzipiell und der politischen Substanz nach fremd seien, ist aber ein populärer Irrtum (dem aufzusitzen, ist gerade eine Philosophin und Vorstehende des Instituts für Philosophie der Universität Wien nicht gefeit).
Die politische Praxis beweist seit Jahrzehnten: Was aktuell jeweils als rechtsradikal anzusehen sei, ist eine Frage allein des Geschmacks.