Figur und Abgrund
Besichtigung einer Wohnung in einem Gründerzeithaus, das umgebaut wird. Unklarheit, wie man nach oben kommt, in die neu aufgesetzten Geschoße. Es gibt Aufzüge, aber nicht jeder führt in jedes Geschoß. Manche sind vernagelt, bei anderen muss man Erde oder Rindenmulch hineinschütten, damit man sie betreten kann. Bauarbeiter, mit denen keine Verständigung möglich ist, weil sie zu beschäftigt sind oder nur Sprachen sprechen und verstehen, die ich nicht.
Irgendwann oben angelangt: ein riesiges, geöffnetes Areal, breite Gänge, ineinander schräg verschachtelte Kuben und Pyramiden mit offenen Treppen, vergleichbar einem dieser modernen Konzertgebäude. Plötzlich bin ich Teil einer Gruppe, die aus Ehepaaren und Familien von der Art besteht, wie sie Freunde der Eltern waren, Menschen aus den frühen 1980er Jahren in Frisur und Habitus, die jetzt jünger wären als ich, damals aber älter aussahen als 60jährige heute. Manche Räume verschlossen, andere offen, manche einsichtig, andere nicht. Was ist schon fertig gebaut, was nicht? Gewirr. Kinder, die Räume für sich beanspruchen, Eltern, die die Dinge anders sehen.
Wie kommen wir wieder raus? Ich stehe neben einem Paar, beide sehr euphorisch, was für ein toller Bau das wird, wie toll, dass wir hier leben dürfen. Wir stehen am Rand einer Versenkung, die dunkel ist, man sieht den Grund nicht; Asphalt führt bergab. Der Mann lobt die Gestaltung dieses einfachen Ausgangs, man müsse nun nicht mehr den Aufzug bemühen oder die Treppen, sondern könne einfach da runterlaufen, am Asphalt einen Abhang hinab, eine Ausfahrt, aber zum Gehen.
Euphorisch beginnt die Frau zu laufen, wir sehen ihre auftoupierte blonde Frisur im Dunkel verschwinden. Spitze Rufe der Begeisterung, alle lachen, dann aber ein Entsetzensschrei, ihre Stimme entfernt sich plötzlich viel rascher, ein Abgrund, Fall. Ich kann nur “Ups” denken, der Mann und ich blicken einander an, unsicher, ob dies nun eine jener Situationen ist, in denen man “dumm gelaufen” sagt und einfach weitermacht, aber schon den Schock spürend, der die eigentlich adäquate Reaktion auf diesen unsichtbaren, aber doch offensichtlichen Tod ist. (Aufgew.)