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- 22 07 2002 - 00:15 - katatonik

Paranoia kann auch napoleonisch sein

Als ich vorgestern von einem Ausflug an den Ostrand Wiens zurückkehrte, überkam mich der heftige Wunsch, Napoleon zu ehren.

Es gelang mir, diesen blödsinnigen Wunsch bis gestern mittag zu unterdrücken. Dann mußte Napoleon einfach geehrt werden. In der Wiener Lobau begab sich am 21.–22. März 1809 eine Schlacht zwischen napoleonischen und österreichischen Truppen, deren Ausgang als napoleonische Niederlage gewertet wird. Diese Niederlage zelebrierte man – über Jahrhunderte hinweg – auf österreichischer Seite heimtückisch, indem man die Natur wüst und wild wuchern ließ. Teile der Lobau wurden alsdann in einen Nationalpark eingegliedert. Man merke die plumpe Pointe: Nationaler Stolz => Nationalpark. Pah!

Man hat hierzulande einfach keinen Sinn für grandiose kleine Männer.

Wie ehrt man Napoleon an einem sonnigen, aber nicht gerade brennheißen Tag? Man setzt sich auf ein Fahrrad und sucht nach seinen Spuren.

Nach einigen Erkundungsfahrten durch Stadt & städtisches Gestrüpp konnte eine Brücke für die Überfahrt zur Donauinsel ausfindig gemacht weden. Dort angelangt, wurden wir, das Fahrrad und ich, eines kleinen Steges ansichtig, der an das andere Donauufer führte. Da der Steg aus Holzplanken bestand, schob ich Feigling das Fahrrad, das sich darob mokierte.

Napoleon hätte mich in seiner Armee nicht einmal Knöpfe annähen lassen.

Menschliche Projektile zeigten sich, vorbeiziehend auf jeweils zwei schuhförmigen Rollgeräten, unter Zuhilfenahme von Fahrrädern, oder unter stolzer Zurschaustellung ausgeklügelter fahrradähnlicher Gefährtmechanismen Marke Eigenbau. Mir kam der Verdacht historischer Kontinuitäten. Man weiß ja, was nicht bewältigt wird, kehrt wieder. Antinapoleonismus, in privaten Rüstungs- und Patrouillierungsinitiativen zur Schau gestellt? Sollte es sich bei den humanoiden Projektilen gar um Feinde handeln, die immer noch, trotz plumper Nationalparkpointe, auf der Lauer nach möglichen Nachkommen Napoleons oder Kämpfern in seinem Geiste lauerten? Allein, sie machten keinerlei Anstalten, uns Napoleonehrer anzugreifen. Sie zogen fast alle einfach an uns vorbei.

Höfliche Anfragen an die wenigen Nichtvorbeizieher – “Entschuldigen Sie, haben Sie was gegen Napoleon? Wenn ja, würden Sie dann zu seinem Andenken bitte mit mir kämpfen?” – wurden von Verbalinjurien beantwortet, die ich anfangs für erste Kampfsignale hielt. Als die Injurier hernach allerdings behende kopfschüttelnd von dannen rollten, packte ich die Fahrradpumpe, mit der ich streng napoleonisch auf sie losschlagen hatte wollen, wieder in den Rucksack und fuhr weiter. Sehr merkwürdig. Wo war nur der Feind?

Da er sich auf offener Straße nicht zeigen wollte, erstand mir der Verdacht, er würde sich im Unterholz verbergen, das es in der dicht be- und durchwachsenen Lobau ja reichlich gibt. Vorsichtig und nahezu lautlos rollte ich auf stillen Waldwegen dahin und scheute mich auch nicht, im Unterholz verborgenes schlammiges Brackwasser zu inspizieren. Der Feind legt sich ja oft mit Schilfrohren im Brackwasser auf Grund, das kennt man ja als alter Napoleoner. Lichtungen zeigten sich, und gar merkwürdige Stätten, ohne Zweifel vom Feind zur Ablenkung errichtet: Ein “Lebenslauf einer Pappel” war auf einer Tafel in Ich-Form niedergeschrieben, daneben stand der ehrwürdige Pappeltorso herum. In Erwartung, dass er die bevorstehende Schlacht gewinnen würde, hatte der Feind frecherweise bereits begonnen, das Land zwecks späterer Bebauung zu bewässern.

Ich war empört ob dieser Mißachtung meiner napoleonischen Würde und stattete zur Wiederherstellung meiner Ehre dem Franzosenfriedhof einen Besuch ab. Gerührt bemerkte ich Spuren von Verwandten im Geiste: Da hatte jemand ein Kerzlein unter der Friedhofsgedenktafel entzündet. Der Friedhof selbst besteht allerdings nur aus einem Stein und – lobauüblich – Grüngewächs. Natürlich, sogar die Gräber der Franzosen mußten bewachsen werden. Gedenken wird hierzulande aber auch immer durch Ur- und Naturwüchsigkeit unterbunden.

Nach einigen weiteren Erkundungen, diesmal waghalsig am beinahe offenen Feld, gelangte ich in bebaute Gebiete, wo Einwohner offenbar ihre Freizeit durch Genuß von Schmalz & Schartner-Bombe zelebrierten. Ich durchsuchte die rustikalen Gebäude penibel nach Feinden. Hatten sie sich etwa feige am so genannten “stillen Örtchen” verkrochen, noch dazu an jenem, wo per Verordnung nur Damen Zutritt haben? Dort würden sie mir nicht verborgen bleiben. In der Tat, sie mußten dort gewesen sein, hatten sie doch mit ihren perfiden Werkzeugen verschlüsselte Nachrichten hinterlassen, die mein Fahrrad, der Dekodierungsexperte, allerdings leicht entschlüsseln konnte. Aus Streitigkeiten über die Soldhöhe weigerte es sich allerdings im Anschluß daran, mir die Ergebnisse der Entschlüsselung mitzuteilen.

Ich fühlte mich gedemütigt und zog – heimlich – in Erwägung, ein anderes Gefährt zu wählen. Die nahe gelegenen Tanklager der hiesigen Mineralölverwaltung boten hinreichend Treibstoff. Natürlich sagte ich dem Fahrrad nichts von meinen Plänen. Es hätte sich sonst geweigert, mich näher an die Treibstofflager zu bringen. Ach, was mußte ich dort erkennen? Treibstoff en masse, in großen Behältern und durch komplizierte Röhrensysteme gepumpt – allein, keine straßentauglichen Gefährte weit und breit. Was wohl Napoleon dazu gesagt hätte: Munitionslager gewissermaßen ohne Waffen?

Niemand bemerkte, dass wieder einmal einer meiner Pläne gescheitert war. Immer dasselbe in diesem Land: Niemand hört einem zu, wenn man heimlich Pläne schmiedet; niemand ist da, um deren Scheitern zu achten und zu ehren. Ich war am Tiefpunkt angelangt.

Zum Trost trank ich ein bißchen Elektrizität. Dann drehte ich mich um, und plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Dort ist der Feind, am Horizont.

Nichts wie hin. Wo war denn nur das Fahrrad? Etwa mit antinapoleonischen Kräften geflohen?

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