St. Petersburg, Straßenbahn
Nach einigen Tagen die Schildergeografie durchblickt und gelernt, Straßenbahnstationen als solche zu identifizieren. Eingestiegen und beobachtet, was Miteinsteigende in Sachen Fahrkarte machen. Nichts. Mich hingestellt, abgewartet.
Eine knarzende Weiberstimme von hinten ruft. Ein Miteingestiegener hält eine in Plastik eingeschweißte Karte in Richtung Knarzstimmenursprung. Ich drehe mich um. Da sitzt eine ältere Frau, die nach Knarzstimme aussieht, mit schwarzer Ledergeldtasche auf den Knien. Neben ihr hängen blau-weiße Zettelsträuße von der Wagenwand. Sie keift mich an. Ich halte ihr wortlos einen Zehnrubelschein hin, den sie gegen ein blau-weißes Blatt und einige Münzen eintauscht, immer noch keifend. Ich gehe. Das Keifen stockt, bis es ganz abbricht.
Aus dem Metallkasten in der Wagenmitte rumpelt und quietscht es. Die Bahn fährt sehr langsam, auf buckeligen Schienen, zwischen denen schotterbesprengte Löcher und Gräben klaffen. Wenn die Bahn in einer Station einfährt, gehen die Türen ruckartig auf.
Irgend etwas zischt dann aus dem Bahnunterkörper hinaus, Gas, Luft, Dampf, Bahnleibeswinde eben. Wenn die Türen offen sind, hört man, wie laut der Bahnmotor rattert und ruckelt. Die Türen krachen zu, ohne Vorwarnung.
Die Knarzstimme keift, wenn die Eingestiegenen nicht gleich zu ihrem Zettelstraußschrein pilgern und Obulus leisten. Manchmal bewegt sie sich auch durch den Wagen, hin zu den Pilgerverweigern. Die Fahrgäste sind still. Manche trinken Bier, andere dösen.
Manchmal steigt der Fahrer oder die Fahrerin an einer Station aus und stellt eine Weiche um.
Es gibt keine Fahreruniformen. Ein Fahrer trägt ein offenes Hemd über nackter Brust; eine Fahrerin ein knapp sitzendes, geblümtes Oberteil, das, hätte es am unteren Rand einige Zentimeter weniger, die Benennung “Bikinioberteil” verdienen würde.