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- 3 04 2004 - 22:03 - katatonik

Market watch

Stolz gewesen, samstags vor mittags den Weg aus der Horizontale gefunden zu haben. Gleich zum Yppenplatz gegangen, um den samstagvormittäglichen Sondermarkt abzugrasen, der da quasi neben dem üblichen Brunnenmarkt rumsteht. Da gibt es frische Blumen und Gärtnergemüse und Kärntner Spezialitäten aus Tierprodukt (Käse) und Tier (Würste) und Kräuter und Riesenbrotlaibe, und vor den Cafes am Nordrand des Yppenplatzes gibt es Stühle, in denen Hipster sonnenbraten. Herrn P. und seine Freundin getroffen, deren Name ich immer vergesse, die aber so aussieht wie meine alte steirische Tante auf Bildern aus den Dreissiger Jahren des 20. Jahrhunderts. Nein, nicht wegen dem Schwarzweiss von den Bildern. Die beiden hatten den Kinderwagen mit ihrer Tochter F. dabei und gaben mir, die ich nahezu erstmaligen Samstagvormittagsmarktbesuch gestand (ich wohne ja erst seit dreizehn Jahren in der Gegend), Einkaufshinweise. Die Kärntner Spezialitätenfrau, unfreundlich, aber die Gemüsefrauen links hinten, nicht billig, aber mit guter, haltbarer Ware, und der Fleischhauer da vorne, gewöhnungsbedürftig wg. dem vielen Blut immer, aber der beste Beinschinken von überhaupt. Herr P. sah Menschen mit Weingläsern vor einem Stand stehen und machte uns darauf aufmerksam, Frau Habvergessenwiesieheisst meinte, “na und”, und ich blieb freundlich und verkniff mir Witze über “Kirchgang, Markt, Papa ins Wirtshaus, Mama und Kind heim”. Solche Witze macht man nur gegenüber Frauen, an deren Namen man sich erinnert.

Nach Kohlrabi und Karotten bei den Gemüsefrauen vom Gärtner-Samstagseck in den regulären Markt zurück. Heimlich einer Gruppe kleiner, dicker türkischer Hausfrauen angeschlossen; die finden immer das billigste und beste Gemüse. Auch ich habe personal shoppers, sie wissen nur nichts davon. Ohne sie wäre ich verloren. Ich will ja eigentlich nie etwas Bestimmtes kaufen und fühle mich daher, je näher ich an Marktstände herantrete, umso verlorener, verängstigt geradezu den bedienungswilligen Ansprechversuchen der Standmenschen ausgesetzt. Aber mit der Hausfrauenvorgruppe läuft das immer tadellos. Bei Staud durchspaziert, auch da seit Jahren nicht gewesen (warum eigentlich), damals bei Erkältungen immer eine Flasche Blaufränkischen besorgt, weil die zur Wohnung nächst gelegene Weinversorgungstelle. Jetzt kann man da auch frische Säfte trinken und Illy Espresso kaufen und Olivenöle, aber eben auch noch süßsauren Kren und Konfitüren und Säfte in Flaschen und zugeschnittene Gemüseteile in vorwiegend sauren Flüssigkeiten eingelegt, und Kirschen in Eierlikör und so eben Original Staud halt. Brunnenmarktuntypischere Klientel da, nicht ganz sympathisch, so die Kommirnichtzunah-Späthipster-Mittelklassefamilienväter mit Hyperdistinktionsbedürfnis und gleich gepolten Weibern dabei (bzw. umgekehrt).

Am Brunnenmarkt in Schlangenlinien durch die Samstagvormittags-Menschenmengen, Riesenfamilien, gebückte Säufer, belebte Hipster, geknickte Grauhaarige, belohnte Kinder, zittrige Fleischeinkaufträger, tattrige Kartoffeleinkaufschieberinnen, verdammt viele Junghipsterpärchen mit Kleinkindern und Riesenkartoffel- bzw. gemüsesäcken am Kinderwagenuntergestell. (Erwachsenwerden: Lebensmittelsäcke am Kinderwagengestell statt Bierkisten am Kopf.) Fahrradlenkstangen schmücken sich beidseitig immer mehr mit weissen Raschelsackerln. Riesenringlotten, sowas, noch nie gesehen. Wieso kauft das Mädel da sieben Kilo Bananen? Eine Margherita-Party, von der ich nichts weiss? Verfolgen? Ist jetzt Extra-Sarma-Saison, wg. der Sarma-Tonnen überall? Gibt es überhaupt eine Saison für Sarma? Lebt die Frau Novotny eigentlich noch? Warum weiss ich immer noch nicht, wo die Putenschnitzel am besten sind? Wo sind die Personal Putenshopper, wenn man sie braucht? Soll ich jetzt eine Packung “Plazma”-Kekse kaufen?

Waschmaschinen später ein Fahrradausflug. Der Plan war eigentlich, stadtauswärts zu fahren (vgl. Baumgarten). Aber dann doch eher das Bedürfnis, an Menschen vorbeizuradeln als an Kleingärten und Gräbern. Am Weg zum Naschmarkt innerhalb von fünf Minuten zwei Hare-Krishna-Gruppen begegnet; den Plan entwickelt, die durchschnittliche Stadtradelgeschwindigkeit in Zukunft in Hare-Krishna-Gruppen-Begegnungsintervallen zu messen. Naschmarkt macht immer mehr auf Vor-Ort-Konsumption. Die Nebenzeile praktisch schon fast ganz in den Händen der Gastronomie, in der Hauptzeile auch immer mehr Ausschank und Speisendarreichung, allerdings mehr Mitnehmfresserei.

Eindeutig mehr Pornodarsteller unterwegs hier als am Brunnenmarkt. Das sind die mit den riesigen Sonnenbrillen, dem blonden oder blondierten Fönhaar, den cremefarbenen Lederjacken und den blauen Jeans. Nur noch Pornodarsteller, wirklich, aller Generationen. (Ganz Hamburg schien mir übrigens immer voll mit Pornodarstellern zu sein.) Überwuzelte Pornodarsteller auf den Rustikaltonnen vor einem Feinkoststand, der jetzt auch Wein ausschenkt, daneben junge Nichtpornodarstellertouristen, die belustigt das Pornodarstellerwesen begutachten. Die Überwuzelten trinken ihre Vierteln weg. Einer ruft zwei blonden Jungpornodarstellerinnen, die so vorbeispazieren wollen, zu: “He! Djewutschki!” Sie reagieren aber nicht. Kaum Kinderwagen mit Riesensäcken. Überall mit Zeug umwickelter Schafkäse in den Vitrinen. Schafkäsequader mit Speck umwickelt, Schafkäsekugeln in Paprika gepresst, Schafkäseellipsoide in Oliven gesperrt. Noch nie verstanden, diesen Drang zur Schafkäseverformung und -stopfung. Im Naschmarkt-Bioladen nur unsympathische Leute (vgl. Staud-Klientel am Brunnenmarkt, nur verschärfter). Dass die Bedachtnahme auf naturnahe Ernährung dann immer so neurotische Unsympathler hervorbringt, eigentlich kaum zum Aushalten. In was für Pornos die wohl was darstellen. Das sind dann wohl die, die die Pornosituation immer durch plötzliches Reinkommen stören oder stören können. Arztgehilfinnen, Oberlehrer, Swimming-Pool-Aufseher. Auf den Mandelpudding verzichtet und ohne Einkauf geflüchtet.

Das Cafe Drechsler übrigens geöffnet und kein Anzeichen bevorstehenden Zusperrens. Man sollte da einmal anrufen zwecks endgültiger Klärung der Sperrfrage.


was schreibt man nochmal in die kommentarbox, wenn man das gelesene ganz toll fand? (einfach nur "danke" hat sich schon so rituell überlebt in der weblogsuperstarszene). also: put your favourite belobigung und liebesbekundigung here. oder noch besser. ein riesengrosses, formgepresstes, von einem pornodarsteller persönlich überbrachtes schafskäseherz.

smal (Apr 4, 12:03 pm) #


Gestern war so ein Tag.

gHack (Apr 4, 02:24 pm) #


gleich unschönen neid empfunden auf orte, an denen man plazma-kekse kaufen könnte. und seit diesem eintrag merkwürdige empfindungen hier in hamburg, na toll. jetzt muss ich mir zu den hamburgern pornos vorstellen, keine schönen vorstellungen, sag ich Ihnen. aber es könnte schon hinhauen, pornos sind ja filme, in denen lauter leute, denen man ansieht, dass sie keine lust haben, lauter sachen tun, bei denen man besser eine lust haben sollte.

praschl (Apr 5, 11:33 am) #


ich schreib nur was zum café drechsler: eine kellnerin hat uns versichert, dass es nicht zusperren wird. und sie sollten evtl. mal wieder hingehen (nicht anrufen), sonst glaubt ihnen das ja keiner, dass das zusperren überhaupt so tragisch wäre.

p3k (Apr 20, 10:53 am) #


bin 185 groß+90 schwer, sportlich gebaut !

würde mich gern als pornodarsteller bewerben.

mfg

johann pawletta

pawletta (Jun 29, 01:08 pm) #


Ach, dann besuchen Sie doch den Wiener Naschmarkt von vor drei Jahren. Da finden sie sicher Gleichgesinnte, die Ihnen tips bei der Arbeitssuche geben können.

katatonik (Jun 29, 07:15 pm) #

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