Go to content Go to navigation Go to search

- 8 08 2006 - 23:55 - katatonik

Edinburgh, Juli

Auf den Gehsteigen stehen kleine Grüppchen und rauchen. An den kleinen Grüppchen, die auf Gehsteigen rauchen, erkennt man Pubs, Restaurants und andere Orte, an denen man sich länger aufhält, in die man wieder hineingeht, nach dem Rauchen. Bei Kaufhäusern macht man das als Raucher eher nicht, da wird Geschäft erledigt und verlassen und im Weitergehen geraucht, nicht Stehen geblieben, des Rauchens wegen.

[Im inneren Monolog gut schreiben können, im inneren Dialog mit dem Weblog auch, aber bei aufgeklapptem Bildschirm dann nichts mehr, kein Wort, keine Erinnerung, kein Bild.]

Als ich auf den letzten Metern des Abstiegs von Salisbury Crags fast stolpere, schliesst Rentner hinter mir auf. Er sagt nichts zum Thema Stolpern, sondern erzählt, die Walking-Steckerln locker schleifen lassend, dass er, als er hier erstmals hinabgewalkt sei, seine Brille nicht aufgehabt hätte und felsenfest davon überzeugt gewesen sei, am Ende des Weges unten stünde ein Pinguin (es steht dort nun tatsächlich ein Fahrverbotsschild).

Am Tag nach der Konferenz dann doch nirgendwo anders hingefahren; durch die Stadt gelaufen, übersozialisiert gefühlt, nicht zu viele Menschen rundherum ertragen und in Leselaune, nach draußen drängend, also von einem Park zum anderen und diese weich aussehenden Grasdecken bewundert, belegt, gelesen, umrundet von der Freundlichkeit entspannter, distanzierter menschlicher Gegenwart, die ganz mit sich selbst, mit Fussbällen und Ghettoblastern beschäftigt war.

Zweimal schwimmen gewesen im “Royal Commonwealth Pool”, einem selten unsympathischen Gebäude aus den frühen 1970ern, dessen Hinweistafeln auch auf Deutsch gehalten sind, die viel zahlreicheren Verbotstafeln jedoch nicht. “No nude showering.” Die Schottinnen duschen dennoch nackt, aber nur hinter Vorhang, ebenso, wie sie sich nur hinter Vorhang umkleiden, sorgsame Verbergung der Nacktheit zwischen Straßen- und Badekleidung, fünfsekündig, aber womöglich verleiten die Vorhänge zu längerem Aufenthalt hinter ihnen und fordern zu allerlei auf, wer weiss.

Die Aufteilung des Pools wird, je nach mutgemasstem Zielpublikum, häufig verändert: Aus der Längenaufteilung frühmorgens wird ein “free for all” mit nebenliegender Wassergymnastikzone, was frei querschwimmende Pensionistinnen auch gierig nutzen. Etwas später wird das 50m-Becken längs in drei gleich große Teile geteilt, von denen einer quer in Bahnen zertrennt wird, der andere frei gelassen, der dritte mit absurden aufblasbaren und aufgeblasenen Tieren befüllt, Drachen und so Zeug. Im 50m-Becken geordnet Querschwimmen, nein, das ist zu blöd. Drei oder vier junge Menschen mindestens sind dauernd am Pool beschäftigt, weshalb wahrscheinlich die Aufteilungen so häufig geändert werden, denn Arbeit muss geschaffen werden. Das Ambiente, atmosphärisch Schwarzweissbildern von britischen Irrenanstalten der 1950er Jahre nicht unähnlich, das Wasser zu warm, aber der Rücken dankt, und das reicht mehr als aus. Im Foyer gibt es eine zentrale Buffetsäule mit Espresso.

[Ich denke natürlich an Vicky Pollard, isjaklar.]

Die Zurichtung der amerikanischen Kollegen und Kolleginnen, ein Phänomen, verunsichernd, abstoßend, ambivalent. Konferenz X sei ja nur noch ein “meatmarket” sagt eine Amerikanerin am Nebentisch abends im Pub, das finden alle Mitamerikaner auch so und auch abstoßend. Dann aber empfiehlt sie Kollegen Y den Besuch einer Konferenz in Indien, zu der auch der berühmte Professor Z als einzige westliche Koryphäe geladen sei, und, so wie man solche Konferenzen kenne, würde er da bestimmt viel “one on one time” mit Z bekommen – als würde man sich einschmuggeln wollen in den Dunstkreis der Dünstenden, als wäre man in einer Fernsehserie, in der die schnell zu ergreifende Chance, dem großen Zampano für fünf Sekunden die Weltformel darzulegen, das eigene Leben in schwindelerregende Höhen katapultiert und dort belässt, Rettung durch Geniemoment. Aber ich kenne das, wie ich sie ansehe, die Zugerichteten: Es ist so, wie mich manchmal andere in Wien ansehen, der Blick auf die, die man für optimierter hält, für nicht ganz geheuer, für ein Spiel ostentativ mitspielend, das man selbst nicht spielen will, und vor allem: für ihr Spiel auch noch ausstellend, nicht verbergend, wie empörend.

Das einfache, wortlose Witzverständnis mit den japanischen Kumpels: Als ich beim Bezahlen im Restaurant irrtümlich meinen Ring am Geldteller hinterlasse und ihn von einer sichtlich irritierten Kellnerin am Teller mit dem Wechselgeld wieder zurück erhalte, lachen wir alle und die Kumpels nehmen spontan ihre Armbanduhren ab und legen sie dazu. Kurz spielen wir eine kleine Szene des Wechsels in Naturalwirtschaft durch, die die Kellnerinnen auch nicht eben beruhigt, und dann verlassen wir das Lokal, wo man uns, die wir nicht reserviert hatten, an diesem Freitag Abend nur das “express menu” mit den schnell zubereiteten Speisen geben wollte, obwohl der Tisch erst eineinhalb Stunden später zum Beleg vorgesehen war. Überall diese Optimiertheit, rundherum, tief drinnen, nur manchmal ersetzt durch obstinate Schläfrigkeit im Service, für die man dann wieder dankbar sein müsste, aber auch nicht ist.

Aus dem Viertel, in dem sich das Hotel befindet, sieht man von überall her auf Arthur’s Seat und das drumherum, altvulkanische Erhebung mit Heidebewachs. Immer sieht man kleine Punkte, die sich nach oben bewegen, manche auch schnell (sogar der kleine Humanoidpunkt offenbart seinen Fitness-Habitus) oder, dann abends in der Sonne, am Kamm oben kleine Punkte, die da stehen und herabsehen. Man stellt sich nicht vor, dass am Gipfel der Lärm unerträglicher ist als hier unten, da alle Automobilien nach oben tönen. Man stellt sich nur vor, dass vom Gipfel die Aussicht grossartig ist. Immer diese Aussichtobsessionen, Panoramafetischismus, pfft.

Studentenheime, die im Sommer zu Hotels umfunktioniert werden. Call me stingy, aber 44 Pfund für ein kleines Zimmer mit Minidusche und WC, ohne Fernsehapparat und Radio, mit durchgelegener Matratze, das bestätigt die Theorie, dass solche Sommerhotelumfunktionierungen nur zur Aufbesserung durchgelegener Universitätsbudgets dienen. So, wie die Bausubstanz der Universität aussieht, dürfte das auch nötig sein. Mein kaputtgelegener Rücken könnte also indirekt zur Sanierung der seine Kaputtheit weiter vertiefenden Sitzbänke in Vortragssälen beitragen. Das ist schön, doch wäre mir freiwilliger Verzicht auf Kaputtierungsgelegenheiten lieber. Wieso nicht einfach die Vorträge im Pool abhalten, so wie die Gymnastik da. Ob da eine steht und nach links und rechts rudert oder über altindische Philosophie deklamiert, sollte eigentlich kaum Unterschiede machen. Die Mitschwimmer würden’s einem wohl danken, werden sie dann doch nicht mehr mit Diskoklängen belästigt, könnten etwas lernen oder einfach, wie gewohnt, die sich nicht weiter aufdrängende Umgebung ignorieren.

Auf Reisen sofort dieser Lesedrang. Auch diesmal wieder einen Wälzer verschlungen, Zadie Smith, “On Beauty”. Zadie Smith kann ich so durchlesen, sitzend auf Parkbänken, in Verkehrsmitteln, in Lokalen, liegend in Hotelbetten, von Seite eins bis fünfhundertachtundsiebzig. Ehrlich gesagt bleibt nicht viel hängen, aber das liegt nicht an Zadie Smith, den Parkbänken oder Hotelbetten, sondern an meiner Aufnahmeverweigerung.

Der Kilt als männliche Festtagskleidung. Einmal läuft plötzlich im Hotelareal ein junger Kiltträger aus einer Gruppe los. Laut schreiend hebt er im Lauf den Kilt und zeigt seinen baren Arsch, “Freedom!” brüllend (dabei jedoch seine Genitalien sorgsam bedeckt haltend). Alles lacht.

Gedacht, es würde schwieriger sein, nach den Niederlagen dieses Jahres den Scharen tratschender Kollegen zu begegnen. Es war nicht schwer. Es gab keine mitleidigen Blicke; die Nachfragen nach den diversen Besetzungen und Bewerbungen konnten mit einem leise lächelnden “oh, I don’t know the details, but unfortunately I’m out of the game” quittiert werden, und Mitgliedern von Kommissionen, die einen abgelehnt haben, tritt man ohnehin in solchen Dingen nur schweigend, doch freundlich gegenüber. Bei X. erkundigte ich mich nach der Besetzung in Y, wo er arbeitet.; man hätte mich eben für sehr fokussiert befunden, sagte er, für zu fokussiert, meinte er. Das war jedoch abzusehen gewesen und nicht überraschend. Nein, es war nicht schwer. Es scheint ja auch zum Spiel zu gehören, Niederlagen ohne Sang, Klang und Klagen mit Nüchternheit wegzustecken. Empörtheit und lautstarker Widerspruch, das sieht man nicht so gern. Alle stecken alles weg, und wenn sie dann endlich irgendwo gelandet sind, sorgen sie dafür, dass andere anderes wegstecken müssen.

Abends die Barterrasse des Hotels. Palmen, Nadelbäume, mediterrane Anklänge, impertinente Möwen.


Klingt nach alldem, was ich nicht an mich ranlassen möchte.

gHack (Aug 9, 12:01 am) #


Meine japanischen Kumpels würde ich auch nicht an dich ranlassen.

katatonik (Aug 9, 09:02 am) #


Schöner Text. Wg. bekannter Situation, aber auch wg. bekannter Stadt: da habe ich ein paar Jahre lang gewohnt. Ich nehme an, Sie waren in den Pollock Halls untergebracht? Die sind übrigens auch für die Studenten während des Semesters fast genauso teuer… Aber immerhin schön gelegen.
Zu den Optimierpunkten an Arthur’s Seat habe ich auch gelegentlich gehört—wenn man da um die Kurve läuft, und plötzlich das Meer sieht, das war eigentlich das Schönste an der Stadt.

der (Aug 11, 02:09 pm) #


Oh! Ja, das war Pollock Halls. Wann waren Sie denn da?

katatonik (Aug 11, 02:43 pm) #


‘99-’03. Seitdem nie wieder. War eigentlich ganz froh, aus der Kälte und allgemeinen Mittelalterlichkeit herauszukommen. It was the best of times, it was the worst of times. Aber so langsam sollte ich vielleicht mal einen Besuch wagen.

der (Aug 11, 03:16 pm) #


Auch so ein Phänomen: Die Städte, wo man als Dissertant oder Jungwissenschaftler Jahre zugebracht hat, und von denen man dann mindestens ebenso lange Abstand braucht. (Über Edinburgh sprechen wir dann vielleicht noch mal, wenn wir nahezu deckungsgleiche geographische Koordinaten aufweisen und gut gefüllte Getränkebehälter in unseren Händen halten. Interessiert mich schon, was man da so eigentlich machen kann, abgesehen vom Rummittelaltern.)

katatonik (Aug 11, 08:22 pm) #

  Textile help