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- 6 07 2022 - 23:08 - katatonik

Im Restaurant

Wir gehen jetzt wieder häufiger in das Restaurant. Es ist mit Gästen gut fußläufig zu erreichen, liegt recht pittoresk neben einer der ältesten Kirchen Wiens, man kann angenehm draußen sitzen, und das Essen ist gut. Gutbürgerliches, auch Schnitzel und Tafelspitz, gute Topfenknödel und Torten, was internationale Gäste eben auch gern so essen, wenn sie in Wien sind. Ich war gut zwei Jahre nicht da, jetzt also seit Frühling wieder häufiger; es gibt jetzt wieder mehr Gäste und Gelegenheiten.

Die eine Kellnerin, nun, man sorgt sich um sie. Groß gewachsen, jung, schlank, freundlich, bemüht, aber immer so die eine Bewegung daneben, die eine Frage nicht gestellt, die eine Antwort nicht gegeben, das eine Gericht oder Getränk vergessen, und dabei so besorgt aussehend, dass man sich gleich dafür entschuldigen möchte, sie auf einen ihrer Fehler aufmerksam gemacht zu haben durch einen skeptischen Blick oder eine unwillige Geste; sagen traut man sich eh nix. Die anderen Kellner sind nicht mit ihr zufrieden, das merkt man an den Seufzern, den verzogenen Blicken, den kleinen Ermahnungen und Korrekturen.

Heute, ja, heute fiel ihr ein Glas Prosecco in den Schoß eines unserer Gäste, der das gottseidank sehr gelassen nahm. Sie so mit Servietten herbei, bestürzt, besorgt, er sich schnell abtrocknend, gelassen, wir alle leicht bestürzt, aber eben auch entspannt dabei; es war ja nicht wirklich was passiert. Und die Kellnerin, sie ist ja eben so, dass man sie immer beschützen möchte, auch vor ihren eigenen Fehlern, und sie war sehr zerknirscht, und wir trösteten sie dann eher, als dass wir geneigt gewesen wären, sie zu maßregeln. Die neue japanische Kollegin, ein so empathisches Wesen, dass es fast weh tut, also sie fühlte sich sofort an ihre eigenen Zeiten als Aushilfskellnerin in einer Mensa erinnert, wo ihr Ähnliches passierte. Im weiteren Verlauf des Abends bedankte sie sich bei jedem nächsten Servierschritt noch extra überschwänglich und machte super-überschwängliche Komplimente über das Essen, über den Tafelspitz und die Mandel-Schokotorte. Sie war sehr happy über Apfelkren und Schnittlauchsauce, wirklich sehr happy.

Aber es war schon verhext, denn, zurück zum Proseccodesaster, zwei Minuten danach krachte Glas etwas weiter weg von unserem Tisch am Weg ins Lokalinnere, und da ist ihr wohl noch etwas runtergefallen, überall Glassplitter am Pflaster, und dann noch mehr Glaskrachen im Lokalinneren; man fühlte sich, nun ja, betreten.

Sie fing sich dann wieder, die Kellnerin. Der Rest des Abends verlief angenehm, auch wenn die Unterhaltungen zurzeit immer in Unangenehmes führen, führen müssen, denn irgendwo lauert zwischen den Diskussionen über die Gründungsdaten nepalesischer Tempel oder die Zuverlässigkeit chinesischer Pilgerberichte über das alte Indien immer eine Infektion, eine Quarantäne, eine Geschichte über Lockdowns, diesmal in Indien (zwei Monate Lockdown) oder im Gebäude einer Police Academy in Japan (durfte nicht einmal den Balkon betreten in der Quarantäne, wie ein Gefängnis), über Cluster bei Veranstaltungen (diesmal in Frankreich), die dann ihre Spuren über Kontinente ziehen, über die, die an der Pandemie verstorben sind oder an etwas anderem, seit wir uns zuletzt gesehen hatten, und das war eben noch vor der Pandemie (der Sturm in London im Februar 2020, wegen dem du nicht nach Oxford fahren konntest, weißt du noch?); die Pandemie ist immer der Referenzrahmen, bis dann das Nächste kommt, was der Referenzrahmen sein wird.

Ich erzählte den Gästen nichts über das Attentat, das musste nicht auch noch sein. Am 2. November 2020 war ein IS-Sympathisant auch an diesem Restaurant vorbeigelaufen mit seiner Waffe und hatte Leute erschossen, vier Menschen starben, darunter auch eine junge Kellnerin des Lokals, eine Kunststudentin, und jedes Mal, wenn die jetzige junge Kellnerin leicht aus dem Tritt gerät, dann muss ich daran denken, und sie vielleicht auch; ich weiß es nicht.

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