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- 22 03 2023 - 19:09 - katatonik

Der eine, der andere, dann keiner mehr

Da in der Garageneinfahrt des Bürogebäudes, bei den Postkästen, noch vor der Fahrradabstellanlagege, lag ein Mann. Er lag auf der Seite, Gesicht zur Wand, an der die Postkästen hingen. Es war Nachmittag. Niemand näherte sich um diese Zeit mehr den Postkästen. Da konnte man also ungestört herumliegen, falls einem der Sinn danach stand. Sonst stehen da bestenfalls gelegentlich Mitarbeiter*innen der Institute, die in dem Gebäude untergebracht sind; sie rauchen, plaudern. Der Mann war keiner von denen, die da sonst gern herumstanden, das war offensichtlich. Jeans, Gürtel, nackter Hautstreifen über dem Gürtel, Pullover. Schmuddelig. Er hielt ein Handy, quer, und sah sich darauf irgendein Video an. Das war keine Szene, wie man sie an diesem Ort täglich sieht, aber es war auch nichts, was unmittelbar Besorgnis erregte oder Intervention erforderte.

Am nächsten Tag waren da zwei, der eine und noch ein anderer. Sie standen und sprachen, der eine mit Over-Ear-Kopfhörern, er zeigte dem anderen etwas. Sie nickten mir zu, ich ihnen. Dann, einen Tag später, war da wieder nur einer; er kauerte am Boden, rauchte. Man grüßte einander.

Heute war da ein Wirbel, wie man hier so sagt. Draußen der eine Typ, drin der andere. Ein Mann, den man auch ohne Uniform sofort als Sicherheitsbeauftragten einer Firma erkennen konnte, ein Sicherheitsphänotyp, schrie den Typ drin an, laut, er solle sich schleichen, verschwinden, dalli, dalli, weg da. Der Typ wirkte verwirrt. Ob er betrunken war? Krank? Unter Drogen? Er sprach auf den Inhalt des Geschreis jedenfalls nicht an, sehr wohl aber auf den aggressiven Tonfall. Er schrie zurück, es war eher ein lautes Lallen, ein Aufheulen des Sich-Wehrens.

Neben dem Sicherheitsfuzzi stand ein anderer Mann, dessen Zusammenhang mit dem Geschehen nicht unmittelbar ersichtlich war; er war kein offensichtlicher Zweitfuzzi. Er sprach nach einigem Hin und Her auf den Verwirrten ein. Ich, die ich mein Fahrrad an der Abstellanlage abgeschlossen hatte, hörte im Vorbeigehen kurz “Hausfriedensbruch” und eine Summe, die wohl als Geldstrafe darauf stand, und ob er das wirklich wolle. Eine Übersetzung des Sicherheitsgeschreis in nüchterne Konsequenzlogik. Der Konsequenzlogiker sprach so beruhigend, dass der Verwirrte leiser wurde, sich die Situation zu entspannen schien. Der Sicherheitsfuzzi schrie auch nicht mehr.

Ich beschloß, mich nicht einzumischen und ging an der Gruppe vorbei. Draußen saß der eine Typ am Gebäudesockel, eine Dose Ottakringer in der einen, eine Zigarette in der anderen. “Guten Morgen”, sagte er, “guten Morgen”, sagte ich. Wir lächelten beide.

Abends war dann keiner mehr da.

[Und tags darauf lag der eine, der in der Einfahrt am Boden gelegen hatte, vor der Eingangstür des Bürohauses am Boden, uns, die wir abends daraus herauskamen, den Rücken zuwendend. Menschen standen um ihn herum. Er bewegte sich nicht, eine Wodkaflasche lag neben ihm, er atmete, die Polizei war alarmiert.]

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