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- 13 10 2003 - 22:45 - katatonik

Playmobil-Welt

Samstag nachmittags aus unerfindlichen Gründen in die Lugner City gegangen. Es gibt dort, als Zentrum des Einkaufszentrums gewissermaßen, auch eine “Showbühne”, wo Events stattfinden wie eine “Mr. Bean Double Show.” Letzten Samstag war da so ein türkisches Kultur-Dingsbums, mit einer riesigen rot gekleideten Männerpuppe auf der Bühne, die wohl den Durchschnittstürken symbolisieren sollte, sowie einer Reihe von Esswarenständen, die das, was man außerhalb des Einkaufszentrums in ebendieser Gegend zum halben Preis erhalten kann, innerhalb zum doppelten feilboten. Es gab auch eine Website für das Ding, deren Name überall groß hingeschrieben war, aber nicht groß genug, um sich mir einzuprägen. Man wußte nicht genau, wie viele der türkisch und weniger türkisch aussehenden Groß- und Kleinfamilien wegen des Kultur-Dingsbums da waren. Aber es waren viele, alle in diesem leicht gehetzten, schwer eingelullten Einkaufszentrengehabe.

Ich war auf der Suche nach einem Geschenk für alte Freunde nahe der Grenze zum fünfzigsten Lebensjahr. Also spazierte ich durch den Spielwarenladen. Angeregt von fünf Monaten Zusammenlebeerfahrung mit einem Siebenjährigen nahm ich das Playmobil-Sortiment unter die Lupe. Diese Playmobil-Dinger bilden ja eine Reihe von erträumenswerten oder erstrebenswerten Lebenssituationen des Idealkindes ab, aber man weiß gelegentlich nicht so recht, woran man ist: Kindheitstraum oder Kindheitsziel? Ritterburg, Zauberschloß, Wikingerschiff – fallen unter Traum, klar. Ambulanz fällt wohl eher unter verbrämtes gesellschaftlich wertvolles Ziel. Aber Flughafen-Gepäckkontrolle? Appell an den Traum jedes Knaben, ein Koffer zu sein, oder erzieherischer Impuls, der das Kofferdasein als anstrebenswertes Lebensziel des Knabens verdinglicht?

Der vorgangegangene Satz enthält Kalauer, die außerhalb des österreichischen Sprachbereiches schwer verständlich sein könnten. Das ist angesichts ihres schmerzhaften Kalauercharakters wohl auch besser so.

Ja, ne, klar, es geht um die Isolierung durchspielbarer Situationen, die Kinder entweder durchspielen wollen sollen oder sollen sollen. So ähnlich. Interessant oder aufschlussreich dabei die Vorstellung, die Playmobil vom Stadtleben hat. Das Stadtleben umfasst beispielsweise auch Meerschweingehege. In Peru? Dann aber eher Meerschweinchengrill, wo präzise vordurchbohrte Meerschweinchenfiguren dann auf einen horizontal über Plastikfeuer plazierten Stab gefädelt werden. Ja, das würde interkulturell was bringen. (“Nein, wir grillen Mucki heute nicht, Sohn!”)

Ansonsten gibt es Müllabfuhr, Supermarkt (auch Kasse), Lieferwagen, Frau mit Fahrrad, Swimmingpool, Familienspaziergang mit Buggy, Hauswirtschaftsraum, Babyzimmer, Mülltonnen. Man möchte sich fast wundern, dass das Stadtleben – ausgerechnet das Stadtleben! Hure Babylon! – so familien- und doch auch frauenzentriert ist, aber halt, nein, es gibt ja auch den öffentlichen Dienst, da sind dann die Männer: Fahrradstreifen (praktisch mit der “Frau mit Fahrrad” kombinierbar), Tresorknacker (passend zum Babyzimmer?), Gangster-Fluchtfahrzeuge (ab in den Swimmingpool damit), Polizeimotorräder (steht nachts im Hauswirtschaftsraum).

Unsereiner kommt natürlich in Playmobil ebensowenig vor wie in der bunten, großen Filmwelt, obwohl der Bibliotheks-Kit oder die geisteswissenschaftliche Gedanken-Ordination vielleicht doch auch recht hübsch anzusehen wären, so in buntem Hartplastik. Warum nur Flughafen-Gepäckskontrolle und nicht auch Großbibliotheks-Leihschalter? Universitäts-Inskriptionsschalter inklusive Lungenröntgen-Vorrichtung und Warteschlangen-Administrations-Kit (Nummernausgabe, Kaffeeautomat, fliegende Händler)?

Kultur gibt’s iin der Playmobilwelt übrigens scheinbar auch nicht, weder hoch, noch populär, noch post. Den alten Freunden hätte ich gerne eine Playmobil-Rockbühne geschenkt, oder die Playmobil-Punkszene, komplett mit Hartplastik-Fetzenkleidung (vgl. Schlossgespenst).

Aber auf tatsächliche Stadt- und Straßenkultur wird die Playmobil spielende Jugend von heute erschreckend schlecht vorbereitet. Es ist ein Skandal. Gangster und Tresorknacker, pah. Würstelstand-Madames, Kebap-Schnurrbärtlinge, Lunchpaket-Diebe, Park-Gangs, Obdachlose, Schulhof-Rowdies, Diskotheken, Alco-Pops, Junkies, Casting-Shows, Dot-Com-Opfer, Skateboarder, Spielplätze inklusive Drogenopfer-Kit, Einkaufszentren-Pensionisten, Einkaufszentren-Türkkultur-Eßstände … ich verließ den Spielwarenladen enttäuscht und blickte von oben auf die auch irgendwie bunte Samstagnachmittags-Einkaufszentrenwelt, bevor ich mich wegdrehte und in Richtung Mausimarkt abging.


skateboarder von playmobil hab ich

supatyp (Oct 14, 08:40 am) #


Bilder! Bilder! Wir wollen Bilder!

katatonik (Oct 14, 09:47 am) #


wie kricht man denn hier bilder hin?

supatyp (Oct 14, 12:58 pm) #

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