Schwitzbericht II
Im winkeligen Stadtzentrum Zürichs, zwischen Cafés mit Patina und Schuhläden mit Ausverkauf, führt ein Durchgang in den Fitnesspark Münstergasse. Ich möchte dort nicht Muskelkraft beweisen oder erwerben, sondern das Hamam aufsuchen.
An der Kassa erwirbt man ein Armband mit Chip, in den die Besuchsinformationen einprogrammiert sind (“besucht nur Hamam, die faule Sau”). Der Chip hat so ein Loch, und damit muss man gegen Passformen an den Eingangsschranken und am Garderobenkästchen drücken, bei letzterem zum Verriegeln und zum Entriegeln.
Das Hamam befindet sich im Keller. Ein gross gewachsener Herr mit dunkler Haut erklärt mir den Vorgang: erst mit Dampf aufwärmen, dann mit Wasser abrubbeln, dann baden, dann mit Dampf überhitzen, dann mit Wasser und Seife abrubbeln, dann baden, dann entspannen, oder überhaupt immer entspannen, wenn wo Entspannungsbedürfnis besteht.
Ich muss das Kichern in die Lippen hineinbeissen, weil ich immer kichern muss, wenn Menschen dunkler Haut alemannische Dialekte sprechen. Es ist ein Reflex, Entschuldigung. Wir arbeiten daran.
Das Hamam betritt man mit einem so genannten Pestemal um die primären und, bei Frauen, auch sekundären Geschlechtsmerkmale gewickelt. In Zürich ist der Pestemal ein Baumwolltuch von Tischtuchstärke und -muster, rot-weiss-kariert. In den Abrubbelräumen legt man den Pestemal ab und ist nackt. Bei Verlassen der Abrubbelräume legt man ihn wieder an, auch im Badebecken. Das ist lustig, weil im Wasser der Pestemal immer wieder nach oben gebläht wird und man ihn dann ganz züchtig nach unten drückt, als gäbe es wirklich etwas zu verbergen. Es ist auch lustig, weil dieses Textilteil stets nass am Leibe klebt und man das Gefühl bekommt, in einer Gesellschaft von Wet-T-Shirt-Trägern zu leben. Wahrscheinlich ist in Kulturen aus Wet-T-Shirt-Trägern das Tragen trockener Bekleidung reine Pornographie.
Es gibt einen Frauenbereich und einen Allgemeinbereich. Der Frauenbereich ist etwas kleiner als der für alle, weil es weniger Frauen als alle gibt. Die Räume haben türkisch klingende Namen wie “Sogukluk”, “Bingül” oder “Halvet”. Die Namen sind in orientalisch wirkender Schrifttype an die Wände gemalt, neben die Eingangstüren. Dabei steht auch die Luft- bzw. Wassertemperatur: “Sogukluk Raumtemperatur ~38°C”, “Bingül Raumtemperatur ~45 °C”. Ich warte darauf, dass der Chip an meinem Armband zu piepsen beginnt (“faule Sau hält sich zu lange bei ~38°C auf!”).
Die Wände sind rostrot, die Fliesen rostrot-hellrostrot-gelblich ornamentiert, das Wasser schöpft man aus Kupferbecken. Der Hitzedampfraum ist dumpf und dunkel. Wasser tropft von der Decke. Wenn sich die Leute auf die Plastikbänke setzen, macht es klatschklatsch. Massive Schenkel, umgeben von durchnässtem Rotweisstextil, treffen auf nasses Hartplastik. Klatschklatsch. Von draussen hallen Frauenstimmen, manchmal auch ganz tiefe Männerstimmen. Im Baderaum wird getratscht, im Wasser, da, unter der Kuppel mit den bunten Lichtpunkten.
In einem allgemeinen Abrubbelraum lege ich den Pestemal ab und beginne mich einzuseifen. Alle Abrubbelräume haben übrigens Glastüren. Man kann so viele primäre und sekundäre Geschlechtsmerkmale sehen, wie man möchte, man muss nur die Abrubbelräume betreten oder unauffällig vor ihren Türen spannen. (Aus hygienischen Gründen darf man unter dem Pestemal übrigens keine Kleidung tragen, steht auf der Regeltafel.)
Als ich mich abrubbele, kommt ein kleiner, kompakter Mann mit vielen Haaren am Körper in den Abrubbelraum und beginnt ebenfalls sich abzurubbeln. Man steht sich immer wieder im Weg, weil es nur einen Wasserhahn mit Kupferbecken gibt, nur einen Wandauslass für die Seife. Man sieht sich nicht in die Augen, rubbelt so seifig an sich rum und schüttet Wasser über sich. Ich frage mich, ob ich hier eigentlich richtig bin, denn vielleicht impliziert die Existenz eines eigenen Frauenbereichs, dass sich Frauen nur dort nackt abrubbeln sollen, dürfen, können. Ich frage mich auch, ob der Mann eine leichte Erektion hat; wenn seine Genitalregion in meine Blickregion rückt, sieht es ein wenig so aus. Aber ich frage ihn nicht, ob er eine Erektion hat, genausowenig wie er mich fragt, ob ich hier richtig bin oder was die Hauptstadt von Uganda ist. Man bleibt höflich und weicht sich aus vorm Wasserhahn. Nach dem Abrubbeln gehe ich in den Baderaum. Ich sehe, wie er den einen Abrubbelraum verlässt und in einen anderen geht. Ich bin verwirrt und frage mich, was die Hauptstadt von Uganda ist.
Nach einem langen Durchlauf der Rubbel-, Dampf- und Baderäume gehe ich hinaus. Die wasserabweisende Tafel in meiner Hand, die den richtigen Parcours beschreibt, nennt als letzten Punkt den “Camekan”: 30 Minuten Entspannen mit Tee und Leckerlis.
Aus dem “Camekan” vertreibt mich freundlich die Kassadame, treibt mich erst zur Kassa hin. Ich müsse dort den Chip gegen ein Lesegerät halten und auschecken, denn sie müsse immer genau wissen, wie viele Personen sich im Hamambereich aufhielten. Ich halte und checke. Im Camekan gibt es Schwarztee mit Minze, wahlweise mit oder ohne Zucker. Leckerlis sehe ich nicht, aber das macht nichts. Es gibt bequeme Liegen und oben eine Galerie mit bequemen Stühlen. In der Mitte des Raumes steht ein Springbrunnen, nein, eine Kupferschüssel mit Wasserrohr, die aussieht wie ein Kochtopf aus einer Grossküche. Leckerlis? Niedrige Tische mit orientalischem Ornament, Verschnörkselungen. Keine Musik. Das ist angenehm.
In der Garderobe zeigt mein Mobiltelefon den Empfang einer Kurznachricht. Während ich sie lese, kommt eine Dame mit einem Stoss Handtüchern auf mich zu und sagt, ich dürfe hier eigentlich kein Handy verwenden. Ich finde heraus, dass das mit Kamerahandys zu tun hat. Ich wende ein, dass aber im “Sprudelbad”, also dem Jacuzzi des Fitnessstudios, ihrerseits alle Besucher videoüberwacht würden. (Das Sprudelbad darf man übrigens nur mit Badebekleidung betreten.) Im Eingangsbereich steht das geschrieben, auch, dass die Bänder alle sieben Tage oder so gelöscht würden.
Wäre es nicht absurd, frage ich die Dame, dass Besucher keine Handys verwenden dürften, weil sie ja fotografieren könnten, Besucher im Bade aber vom Haus selbst gefilmt würden, und zwar immer? Das müsse ich vorne ins Beschwerde- und Anregungsbuch schreiben, sagt die Dame. Dass ohne Videoaufnahmen Leute nicht vor dem Ertrinken im Sprudelbad gerettet werden könnte, sagt sie. Ertrinken. Sprudelbad. Diese Worte sage ich ihr noch einmal vor, bevor ich laut auflache. Auch das solle ich ins Beschwerde- und Anregungsbuch schreiben. Ich schreibe nicht und esse eine mitgebrachte Banane. Demnächst dann doch wieder in die Sauna, das ist preisgünstiger und entspannter dort und ohne Ertrinkungsgefahr im Sprudelbad.
warum sind Sie aber auch nie in einem hamam, wenn man Sie dort braucht.
katatonik (Feb 5, 04:18 pm) #
Sie bewegen sich ja nur zu Wasser. Da fällt Schweiss nicht auf und getippt wird nicht.
katatonik (Feb 6, 02:46 pm) #