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- 14 08 2004 - 15:06 - katatonik

Getorkele, in Grünteeeis mündend

Von Nagoya nach Kyoto sind es nur knapp 40 Minuten Superschnellzugfahrt. Vorsorglich hatte ich sogar einen Sitzplatz reserviert (kostet ja nix für Japan Rail Pass holders), was aber nicht nötig gewesen wäre. Die im Fernsehen gezeigten reisenden Menschenmassen – Urlaubsheimkehrer wg. bevorstehender buddhistischer Totenwillkommenheissfeierlichkeiten – waren offenbar nicht von Nagoya nach Kyoto unterwegs, und nicht um 13:00, danke.

In Kyoto drückt die Hitze, was nicht überrascht (weil davor eh jeder immer wieder warnt), aber nervt, was ebensowenig überrascht. Die freundlichen Menschen, die meinen Aufenthalt hier finanzieren, haben mich für die erste von zwei Wochen in einem Hotel auf der falschen Seite des Kyotoer Superneublitzblankbahnhofs einquartiert. Naja, falsch, es ist eben der Arsch des Bahnhofs und nicht sein Blitzgesicht in Richtung Wichtigkeitsteile der Stadt. Das Pay-TV-Gerät im Zimmer fungiert praktischerweise aber auch als LAN-Anschluss, für dessen Nutzung keine Geldmittel irgendwohin geschoben werden müssen. Dankeschön. Überhaupt passt das Zimmer gut, dankeschön.

Nachmittags spaziere ich durch Einkaufszentren, das wird hier noch mein klimatisierter Hauptzeitvertreib. Ich habe Angst. Was, wenn auch ich in zwei Wochen mit Hochfrequenzgekreische enthusiasmiert vor rosa Mini-T-Shirts herumhüpfe, dabei orange Plastikhandtaschen schwenkend? (Die 30-Jahre-Kitty-Jubiläums-Ausstellung in Nagoya habe ich übrigens Ihnen und mir erspart. Ich hoffe, Sie wissen das zu würdigen.)

Auf der richtigen Bahnhofsseite finde ich billigen und trinkbaren Espresso, dazu ein Schaumgummi-Thunfischsandwich. Ich mag Schaumgummi-Thunfischsandwichs. Nach einer Rast im Hotelzimmer, während der ich so tue, als würde ich meinen Vortrag und mein einwöchiges Seminar hier für nächste Woche vorbereiten, de facto aber nach schmutzigen Unterhaltungstips für Kyoto suche, gehe ich zur Nahrungsaufnahme aus.

Inzwischen hat sich das Wetter von Hitzestau zu Regenschwall gewandelt. Flüssigkeit zur Abwechslung von aussen nach innen, daschauher. Mit dem vom Hotel geborgten Regenschirm schwimme ich zum Bahnhof hinüber. Viele Menschen dort, immer noch, die Zeit zerrt an allen herum, ohne zu wissen, wohin sie sie zerren soll, sehr unangenehme Atmosphäre, als hätte das Wetter erstmals Menstruation oder Bartwuchs und wäre davon in kraftvolle Unsicherheit hinein überfordert. Nach Promenaden durch die bahnhofsinnere Restaurantmeile betrete ich einen Sushi-Laden, der auch anderes Zeug (Tempura, Agedashi-Doufu) hat. Ach Gott, machen wirs kurz, es war ein Desaster, nach einer kleinen Portion Sashimi – gut, aber klein – sitze ich bei meinem Bier und erwarte mehr von dem Menü, das ich meine geordet zu haben. Habe ich aber nicht, also langes Warten und Merkwürdigkeit und Hilflosigkeitsgefühl und dann noch was bestellen, sich dabei aber als Vollidiot outen (was ich sowieso neurotisch hysterisch hasse) und letztlich das Gefühl kriegen, viel zu viel bezahlt zu haben.

Im 24-Stunden-Supermarkt torkeln Besoffene und bepickelte Jugendliche übereinander auf der Suche nach Proviant für Nachtbusfahrten. Auf der Strasse Getorkele, in der Lobby Getorkele; es regnet nicht mehr, womöglich handelt es sich um kyototypisches Nachregengetorkele am Samstagabend. Ich habe keine Lust mehr auf schmutzige Abendunterhaltungen und werfe meine Wäsche in die praktische Münzwaschmaschine neben dem Bierautomat, danke, kein Waschmittel nötig. Ich habe noch Sake im Zimmer, und Häagen-Dasz Grüntee-Eis.

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