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- 28 01 2007 - 02:33 - katatonik

Francesco Rosi, Le mani sulla città (1963)

Anfang und Ende: lange Flugaufnahmen über Neapel, wackelig und schwindelerregend, die damals neuen Wohnblockareale, die riesig und unbeholfen an Hängen wuchern, teils atemberaubend mit viel zu fragil aussehenden Holzkonstruktionen im Erdreich abgestützt.

Anfang und Ende, dann: Honoratioren und Stadtentwickler. Rod Steiger spielt Eduardo Nottola, Stadtrat und Baulöwe, der zu Beginn anderen dicken alten Männern in Anzügen und Mänteln und mit dickrandigen Brillen vorschwärmt, wie viel das Land an einem noch unbebauten Flecken bald wert werden würde, und der am Ende der Zeremonie zum Baubeginn beiwohnt, mit Bürgermeister & Bischof (oder Kardinal?), dem eilfertig der Ring geküsst wird.

Anfang und Ende: Die Baumaschine, die zu Ende nach der Baubeginnzeremonie für yet another Wohnbausiedlung in die Erde fährt, fährt auch zu Beginn in die Erde, downtown, im dicht bewohnten Gebiet, wo die Unterwäsche in den schmalen Gassen von Häuserfront zu Häuserfront herabhängt, die dann, als die Katastrophe passiert ist, durch Transparente mit wütenden Parolen ersetzt wird.

Gerade weil dort die Baumaschine in die Erde fährt, angeleitet von Edoardo Nottolas Sohn, fällt eines der Häuser in sich zusammen. Wie dieser Einsturz gefilmt ist, das Herunterkrachen erst von kleinen Teilen, dann der ungläubige Blick der Kamera auf eine Wand, die plötzlich schwankt, da oben, das Entsetzen, das Auseinanderstieben der Menschen in der Gasse, als die Mauerteile nach unten donnern. Das Gebäude kracht zusammen, aber man hat den möglicherweise vorbeiflanierenden Passanten nichts davon erzählt. Rosi erzählt offenbar in einem der Criterion-DVD beigepackten Interview, Menschen wären in Ohnmacht gefallen. Das ist begreiflich.

Der Staub, der dann in der Stadt ist, die Staubwolken. Es ist nicht still. Die Panik ist nicht still. Überhaupt nicht. Das ist sie nur in schlechten Filmen. Das ist aber ein guter Film.

Ich habe die Machenschaften nicht ganz verstanden, zwischen dem Blick auf den Film und dem Versuch, die deutschen Untertitel zum italienischen Originalton zu lesen. Nach dem Einsturz des Hauses, bei dem zwei Menschen sterben und ein Bub seine Beine verliert, gibt es Empörung. Im Rathaus wird debattiert, lautstark, hin und her. Jede der Fraktionen hat ihr Mikrofon. Aber während da einer hineinspricht, bilden sich miteinander beratschlagende Kleingruppen unter und zwischen den Fraktionen, da wird gepokert und ausgehändelt, was das Zeug hält, und beleidigt und aufgetrumpft wird auch. Ich habe mich an Schilderungen aus dem österreichischen Parlament der Zwischenkriegszeit erinnert gefühlt, wie sie etwa Brigitte Hamann in “Hitlers Wien” beschreibt: das Parlament, das Rathaus, als Marktplatz der politisch verwertbaren Emotionen.

Ein Moment zwischendurch: Als die Linken den Gemäßigten und den Rechten vorwerfen, sie hätten schmutzige Hände, und die anderen dann wie verabretet alle ihre Handflächen vorweisen, die Hände gehoben, mit ihnen wackelnd, fast, wie winkend. Wir zeigen euch, wie sauber wir sind, da könnt ihr so viel Schmutz finden, wie ihr wollt.

Rosi hat Schauspieler engagiert, aber anscheinend spielten auch einige der Lokalpolitiker sich selbst. Carlo Fermariello, der Repräsentant der Linken, sei damals Sekretär der “worker’s association” von Neapel gewesen, und Mitglied der kommunistischen Partei. Das erklärt vielleicht, warum ausgerechnet der Linkspolitiker so blass gezeichnet ist. Die Schauspieler, die spielten die Korrupten. Der Linkspolitiker war echt und musste im Film verblassen. Ich habe mich gefragt, ob Steiger italienisch sprach; wohl nicht – er soll den italienischen Schreiern sein nichtitalienisches Schreien entgegengehalten haben, dann gab es Nachsynchronisation (Frau G. erzählt, Nachsynchronisation sei im italienischen Film ohnehin eher normal gewesen, auch fürs italienisch Gesprochene).

Nun ja, am Ende des Stadtratgeschreis, des Bürgergeschreis, des Bürgergebettels (nein: Bürgerinnengebettels, denn die am Rathaus die gönnerhaften Politiker Anbettelnden sind durchwegs Klageweiber), der fruchtlosen Arbeit einer qualmenden Untersuchungskommission, der zwangsweisen Umsiedelung der Althausbewohner, der Wahlen, der Küchenabmachungen und Casinogeplänkel, der Klüngeleien und Mauscheleien, der Pakte und ihrer Zerschlagung, am Ende steht also der Baubeginn, und Edoardo Nottolo hat irgendwie gesiegt.

Zwischendrin: Der Spekulant führt den Linkspolitiker in eines der von ihm gebauten neuen Häuser. Er zeigt ihm die Toilette. Hier, die Küche – Strom, Gas. Es ist hell und sauber. Was kann er dagegen haben? Der Linke hat nichts gegen die Gebäude. Aber er verlangt, dass sie unter Einhaltung der Gesetze gebaut werden.

Auch zwischendrin: Der Spekulant sucht in der dunklen Stunde eine Kirche auf. Er betet vor der Madonna, die hinter Glas ist; gerade eben hat jemand die elektrische Madonnenbeleuchtung angeschalten. Etwas später wird ein spekulantenkritischer Politiker der Spekulantenpartei deren Obersten aufsuchen, bei sich zu Hause. Der Oberste zeigt gönnerhaft seine Kunstsammlung her. Er führt den Spekulantenkritiker in einen Raum mit prunkvollem Altar. Am Ende wird der Oberste dafür sorgen, dass der Spekulant und sein zwischenzeitlicher parteiinnerer Kritiker einander in die Arme fallen, zur Versöhnung im Dienste des Volkes, der der Dienst am Volksvertreter ist, der seine wirtschaftlichen Interessen hat und gerne wahrnimmt.

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