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- 5 08 2022 - 12:47 - katatonik

Sommersplitter

Hitze, wir schlürfen Eiskaffee, Grazien am Nebentisch zuzeln rote Cocktails, Kinder pritscheln im Brunnen, aus dem Fenster eines vorbeifahrenden Lieferwagens tönt das “Love Theme” aus Godfather.

Denke manchmal an die superbesorgte japanische Mutter vor Umzug nach Düsseldorf, die ich damals in Hiroshima Deutsch lehrte: Ist es wahr, dass es in Deutschland nur E-Herde gibt? Das ist doch supergefährlich für mein Kind, weil das sieht ja anders als bei meinem Gasherd in Japan nicht, dass es heiss ist. Das war eine ihrer vielen Sorgen, und meine Aufgabe bestand eher darin, ihr die Sorgen zu nehmen als ihre Sprachkenntnisse zu verbessern.

Hühnerlebersugo, Spaghetti alla Nerano. Immer noch Kochen à la Home Office, beste und eventuell sogar einzig gute Nebenwirkung der Pandemie.

A Summer Day in the Company of Ghosts

Weinhähnchenexilierung. Drei Nächte hindurch schrillte ein Weinhähnchen in der Wohnung, unsichtbar. Ich wusste gar nicht, dass es Schrecken gibt, die “Weinhähnchen” heißen, danke Twitter. Es wurde langsam klar, dass sich das Tierchen wohl in die Pflanzen im Wohnzimmer zurückgezogen hätte. Die Pflanzen wurden auf den Balkon geräumt. Dann verzog sich das Weinhähnchen bald wieder in den Feigenbaum der Nachbarn. Weinhähnchen sollen nun in Wien bereits zu den häufigsten Heuschreckenarten gehören, Wärmezuzügler. Sie sind wirklich verdammt laut.

Lese schon wieder einen US-amerikanischen Roman, in dem “blackbirds” vorkommen, und ich trau mich sowas von wetten, in der deutschen Übersetzung sind die falsch als Amseln wiedergegeben, soll ich jetzt extra das Buch kaufen, um das zu verifizieren? Es sind Stärlinge, zumeist Rotschulterstärlinge, übrigens, Übersetzer. Es gibt keine Amseln in Nordamerika. Und wenn die “blackbirds” in Scharen vorkommen, wie in Ta-Nehisi Coates’ “Wassertänzer”, dann ist das ein sicheres Zeichen, dass es sich nicht um Amseln handeln kann, denn Amseln sind Einzelgänger.

Der Typ am Nebentisch im Anzengruber, der von vier englischen Anwältinnen erzählte, mit denen er sich unlängst besoffen hätte. Die arbeiteten alle für Boris. Ja, sicher, sagte sein Kumpel, was glaubst, wer ich schon aller war beim Saufen. Wurscht, sagt der Typ, bleibt eh nie was von sowas.

Musik. In schlechten und müden Stimmungslagen, von denen es diesen Sommer viele gibt, helfen Elektro Guzzi und Automat, Elektro Guzzi pusht bei reiner Müdigkeit ohne Deprobegleitton, Automat geht immer (da subtiler). Es ist im übrigen erstaunlich, wie sehr man sich in mancher Musik zu Hause fühlen kann.

Gössermuskel, ein schöner Austriazismus, der mir im Schwimmbad des öfteren in den Sinn kommt.

I’m wide awake on memories // These memories can’t wait

Aus Zeitgründen eines Abends ausnahmsweise nicht ins entferntere Stadionbad, sondern ins näher gelegene Schönbrunnerbad. Wunderschön am Rande des Schloßparks, 50m-Becken mit immerhin einer Sportbahn, schweineteuer, mit Fitnesscenter dabei, sehr grazien- und gigoloträchtig. Erinnerungen an den Sommer 1994, als es noch billiger war, mit Abendöffnung bis 22 Uhr, sensationell. Oft ich und maximal drei andere, ich saß dann schon im Pavillon am Hang und schlürfte einen Cocktail, während die anderen im menschenleeren Becken Kopfsprünge übten. Es war der Sommer der roten Cocktails und roten Hemden.

Oben am Rande des Beserlparks nun ein neues Gasthaus, das alte, abgerockte hat zugemacht. Probebetrieb der Küche. Sehr gute Wiener Küche, eher kleine Portionen, freundliche, junge Betreiber*innen, beschwerdefreie Weine. Weit über dem Preisniveau des Bezirks. Schade, die Gegend hätte ein preisgünstiges, lockeres Hangout besser vertragen als ein Edelgasthaus für Leute aus dem reicheren Nachbarbezirk.

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