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- 5 09 2022 - 19:16 - katatonik

Kommunistenfeiern

Anstelle eines Textes zum Wiener Volksstimmefest würde eigentlich völlig ein Tweet von Stefanie Sargnagel reichen (der eigentlich drei Tweets ist):

“Es ist einfach so herrlich kurios alles: zuerst erklärt einem die Rkob warum man die Hamas unterstützen soll, dann gibt’s Langos und Schilcher, dann tanzt man Chachacha, dann sing man Arbeiterlieder mit der GWL, dann tadeln mich junge bsoffene Antifas, dass ich edgy Tweets lösche.”

“Dann die ganzen alten Freaks: Leute denen man vor 15 Jahren im Nachtasyl nur noch ein paar Monate gegeben hätte stehen bei Konzerten in der ersten Reihe unberührt von der Zeit.”

“Wie so eine riesige Problemfamilie.”

Ich war freilich schon vor 15 Jahren nicht mehr im Nachtasyl, vor 30 öfter, vor 20 selten. Also weniger Problemfamilie, eher amüsierte Halbamnesie (“war der nicht …”). Man vergisst ja gottlob doch recht viel.

Die geografische Nähe zum Stadionbad und der körperliche Zustand post-Covid verlangten vor dem Festbesuch nach einem (diesmal wahrscheinlich wirklich) letzten Freibadschwumm. Wenige Leute da, aber doch noch Bezugsschwimmer in den Nachbarbahnen. Schwimmen im Bad ist eine sehr spezielle Form sozialer Aktivität, eine reduzierte, körperlich, doch ohne Tuchfühlung. Man reisst seine Bahnen runter genauso wie die in den Nachbarbahnen, man teilt einen Raum (das Wasser), ohne sich in die Quere zu kommen, ist Teil einer Gruppe mit geteilten Interessen, ohne auch nur ansatzweise darüber hinaus in Kontakt zu treten. Unausgesprochene Konventionen der Bewegung, Formen subtiler Solidarität und selbstverständlicher Rücksichtnahme, die zumeist sehr gut funktionieren, unprätentiös, solange man auf keine sich überschätzenden Dominanzdeppen trifft; Irritationsquellen sind leider tatsächlich zumeist männlich. Der Vorsatz an diesem Tag war ein langsamer Kilometer, zweng’s der Postinfektions-Schonung; es ging dann aber unerwartet gut und somit wurden’s dann, mit etwas Behutsamkeit, doch die üblichen zwei. Endorphinschub total. Einstimmung, passend.

Am Volksstimmefest mit einem Teil der Ü60-Bezugsgruppe verabredet, das sind alte Bekannte, die heute viel Zeit und Lebenslust haben und deren Hirn anders als das meiner Generation nicht mehr von beruflichem Multithreading zuweilen in Leerlaufprozesse gejagt wird bzw. sich jagen lässt (it’s complicated). Wir treffen uns beim Frauenstand, der eigentlich Frauenpunkt heisst; es plaudert sich vor sich hin. Ich lerne ein weiteres Mitglied der ersten Frauenpunkband Österreichs kennen, sehr erfreut.

Ansammlungen von Ständen, die politisches und soziales Engagement fördern, Stände der staatlichen Kammern und Arbeitervertretungen, zivilgesellschaftliche Vereine, Freundschafts- und Solidaritätsbewegungen mit anderen Weltgegenden, Wiener Multiethnik durch den politisch linken Filter, Bezirksgruppen, angereiste Engagierte aus den Bundesländern. Buchstände, Plattenstände.

Hätte irgend etwas davon nicht auch genau so vor zwanzig Jahren stattfinden können? (Ich war sehr lang nicht mehr da.) Ich finde nichts erkennbar Heutiges, z.B. keine Beschäftigung mit Digitalisierung und Arbeitsmarkt, keine Verschränkung von Klimakatastrophe mit linker Politik. Es gibt Stände klassischer Öko-Organisationen, ja, aber dann doch gewohnt eindimensional. Die Agitation rührend aus der Zeit gefallen (viel “gegen die Bosse”-Rhetorik), aber womöglich ist auch diese Form der Agitation im Begriff, geisterhaft wieder zu erscheinen. Vielleicht übersah ich das Gegenwärtige irgendwo unter den (noch Blätter tragenden) dichten Bäumen, mag sein. Das war aber auch immer schon so am Volksstimmefest, scheint mir. Das Heutige blitzt in eher manchen der musikalischen Performances auf, die in recht krasser Diskrepanz zum vertretenen Diskurs stehen.

War es übrigens immer schon so, dass jeder Stand glaubte, seinen eigenen Sound ins Gelände blasten zu müssen? Das ohne Zweifel die unangenehmste Seite des Ganzen: Man hört die Konzerte nicht einmal recht nahe der Bühne, man kann sich an den meisten Stellen nicht unterhalten, ohne zu schreien. F. meint, es gab immer schon so viel Musik, früher aber ohne Verstärker.

Wir essen Currys, in der Wiese und auf niedrigen Liegestühlen sitzend, lachen viel. Ein älterer Herr nähert sich uns an. Er hält fest, dass wir so viel lachen, würden wir nicht auch bitte zu seinem Stand gleich daneben kommen wollen und einen Protestbrief unterschreiben; wir verstehen akustisch nicht, worums geht, sagen aber freundlich, klar, gern, wir essen noch fertig und kommen vorbei. Lachen ist nicht risikolos auf einer politischen Festveranstaltung. Als wir fertig gegessen haben, haben wir auch vergessen, dass wir vorbeikommen wollten, das war sicher wegen dem blöden Gelächter.

Alles gut besucht, viele Menschen; vor vier Wochen hätte mich das beunruhigt, aber, hey, immuner wird’s nicht mehr, heute schreckt mich ein Freiluftfest nicht. Den F. getroffen, seit mehr als zwanzig Jahren nicht gesehen, das letzte Mal hatten wir eine kontroverse Diskussion über die Verwendung von Anti-Nazi-Widerstandsformen aus dem Zweiten Weltkrieg im Protest gegen die erste schwarz-blaue Regierung. (Er fand’s gut, mich störte die historisch blinde Übernahme eines spezifischen Widerstandskonzepts.) Man schaut sich so an und versucht in den etwas faltigeren und älteren Gesichtern Spuren von irgendwas zu finden, weiß gar nicht so recht, was; man plaudert ein bisschen, Lebenspositionen austauschen und so. Das Gespräch verläuft aber eher stockend, und dann muss er aufs Klo, was eh auch passt. Irgendwo in der Ferne geht der H. vorbei, mit dem will ich aber nicht unbedingt reden, das war schon vor sieben Jahren eher stockend und mühsam, ich mache einen auf “hab dich nicht gesehen”; als in den 1980er Jahren sozialisierter Mensch beherrscht man das.

Es ging eigentlich immer um Cuba libre am Volksstimmefest, who are we kidding. Ich kann mich an Zeiten erinnern, da gab’s den nur bei einem Kubastandl, also suchen wir jetzt das Kubastandl und finden den Austro-Kubanischen-Kulturverein, der sehr freundlich ist, aber einen eher zweifelhaften Cuba libre kredenzt; er schmeckt wie Desinfektionsmittel. Womöglich gesund, who knows. Später, als die Ü60-Bezugsgruppe bereits abgezischt ist (es war ihnen zu laut), entdecke ich den Stand der Nicaragua-Brigaden, dort ist der Cuba libre wesentlich besser (genau genommen eine Cubata, wg. braunem Rum statt weißem) und wird obendrein von einer sympathischen ehemaligen Wiener Vizebürgermeisterin ausgeschenkt; das hat was. Dort treffe ich auch die einzige Arbeitskollegin, Nachbardirektorin K., die offenbar guten Geschmack hat, sowas verbindet. Noch besser ist der Cuba libre gleich neben einer der Konzertbühnen, wie ich tags darauf herausfinde. Aber da kostet er auch gleich 8 Euro und nicht, wie bei den Nicaragua-Brigaden, 3 Euro 60.

Abends spielen dann Texta, eh keine Musik fürs Zuhausehören, das braucht Konzert. Gediegener Sprachwitz, ich meine, wer “Wiederwahl auf Landesebene” verrappen kann (und will), hat Österreich verstanden. Sympathische Herren aus Oberösterreich mit angemessenem Altersbewusstsein, die sich empathisch um ihr großteils weit jüngeres Publikum bemühen. In der Masse stehen, mitwippen und mitmoshen, auch das eine angenehm nichtsoziale Form des Sozialen, und, wie gesagt, immuner wird’s nicht. “Wann, wenn nicht jetzt” war jetzt bisher in meinem Alltagssprachgebrauch auch nicht unbedingt eine Phrase, die durch den eigenen Immunzustand motiviert gewesen wäre, aber, hey, es ist halt alles im Fluss, und wir wissen im wesentlichen auch, wohin, und das macht’s nicht besser.

“Manchmoi hob i afoch so a Stinkwut
i durchbrich heut jede Nebelwand im Sinkflug
Aus euchre Chemtrails bau i ma an Schriftzug
heut muas oissi aussi, hinter mir die Sintflut”

Nach Ende des Abendkonzerts die Zerfaserung. Dunkle Wiesen, zwischendrin noch einige beleuchtete Stände. Bücherverkauf, Getränkeausschank, Musik und Tanz. Neben der “Jungen Welt” hat’s Schlumpftechno, bei den austrokubanischen Freunden wird schrittgetanzt, das hat mehr Charme. Ok, das mit dem besoffenen Ins-Gebüsch-Fallen mit zweifelhaften Formen geschlechtlichen Austauschs im Anschluss können jetzt gern die jüngeren Generationen übernehmen, danke nein. Das Ringelspiel rotiert noch; ich kaufe spontan eine Karte und lasse mich mit johlenden anderen im Wind treiben. Der junge Mann hinter mir meint, ihm würde etwas übel, aber das hat dann gottlob keine sozialen Auswirkungen.

Tags drauf noch einmal hin, zum Konzert von Esrap (hier ein FM4-Set), die für die ausgefallenen Attwenger (einer hatte Covid) eingesprungen waren. Das sind die Geschwister Esra und Enes Özmen aus Ottakring. Bezirksbewusster Hiphop, das Tschuschische affirmierend, immer dann am schönsten, wenn sie die Melancholie türkisch-nahöstlicher Musiktraditionen mit aufnehmen. Freunde dabei ist eine ihrer eher geradliniger politischeren Nummern, und auch verdammt gut.

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