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- 7 09 2022 - 11:46 - katatonik

Im kleinen Lokal, wo Musik wohnt

Das Lokal wirkte innen klein, kleiner als in der Erinnerung. Die Erinnerung umfasst viele Abende und Nächte, bei Konzerten, mit Freund*innen, mit Besucher*innen, die es immer wieder in die Stadt wehte, mit Wildfremden, alles drin von Aberwitz über Begehrlichkeit bis hin zu Zerwürfnis, und verdammt viel Musik. Wirkt das Lokal deshalb so klein, weil die Erinnerung all dies, über Jahre erlebt, in Gleichzeitigkeit eindampft und so viele Menschen und Klänge natürlich niemals in diesen Raum passen könnten?

Gespräche damals, zu Anfang viel über Musik, voll der Diskurs, oder was man halt damals dafür hielt, dann, der Erinnerung zufolge, weniger. Es heisst, Menschen in ihren Dreißigern würden aufhören, sich für neue Musik zu interessieren; Studien aus Streaming-Netzwerken, im verlinkten Artikel bekräftigt durch anekdotische Evidenz des Autors. Das scheint mir auch autobiografisch nachvollziehbar; ich kann nicht sagen, warum. Es hat viel mit viel Arbeit zu tun, und mit dadurch bedingtem Stress, mit der Aufmerksamkeit für andere Dinge — wie z.B., damals, einen entfristeten Vertrag im wissenschaftlichen Bereich zu erringen —, auch mit der Aufmerksamkeit für andere Medien (mehr Film). Es war auch weniger das Interesse an neuer, noch nicht bekannter Musik per se, das verschwand. Vielmehr reduzierte sich die aktive Neugier, die autonomes Erkunden angetrieben hatte, auf eine passive Geneigtheit, die sich auf Musikhinweise im analogen und (vermehrt) virtuellen Freundesnetzwerk verließ. Und Konzertbesuche gingen definitiv zurück (was etwas später dann auch mit einem, gottlob temporären, Umzug an einen Ort mit weniger interessantem Angebot zu tun hatte).

Das drehte sich dieses Jahr wieder, wie so Einiges. Music is back. Gestern also, bei einem kleinen, recht beschaulichen, aber anständig lauten Konzert von White Boy Scream mit der bemerkenswerten Stimme von Micaela Tobin, da traf ich den J. und den S., überraschend, da ich sie noch nie über Musik getroffen hatte und noch nie mit ihnen über Musik geplaudert. Es stellte sich, auch das überraschend, heraus, dass unsere Musikinteressen vor allem im Bereich Elektronik und Experimentelleres stark konvergierten. Es gab viel zu palavern, Konzerterfahrungen auszutauschen, vorzuschwärmen. Derzeit ja eher so die Atmosphäre von Erleichterung, dass es überhaupt wieder Konzerte gibt, wenngleich begleitet von der Vorahnung, der pandemisch schwierigere Herbst könnte da wieder Vieles eindampfen. Dementsprechend mehr Enthusiasmus und Begeisterung, weniger Diskurs (oder was man halt heute dafür halten wollen würde). Und man ist natürlich auch verdammt froh, dass es Lokale wie das Rhiz überhaupt noch gibt.

Es ging um Melvins-Moshpits, um bemerkenswert passives japanisches Publikum bei Merzbow-Konzerten, um Rehberg-Gedenkkonzerte in Paris, um die Frage, ob Aphex Twin eigentlich noch aktiv sei, und auch um die Rosen, die S. als Konzertfahrer für ein Musikfestival einmal für Patti Smith besorgen durfte. Also alles schön kreuz und quer, wie sich das für eine abendliche Unterhaltung im Anschluss an Musikgenuss gehört. Und es ging um Audiokassetten — White Boy Scream vertrieben auch ein tape — und ihre Abspielmöglichkeiten. Ist es eine Pointe, wenn man sich in einem Lokal, das sich bei seiner Gründung avanciertes Elektrogefratzel auf die Fahnen geschrieben hatte, mehr als zwanzig Jahre später darüber unterhält, wo man günstige Kassettenrekorder herkriegt dieser Tage (anscheinend ein echtes Problem)?

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