Ophelia's Got Talent (Holzinger, Volkstheater, 19.4.2023)
Florentina Holzinger, „Ophelia’s Got Talent“, Volkstheater Wien, Inszenierung wohl etwas anders als in der Berliner Volksbühne, wo erstmals aufgeführt. Mein erstes Holzinger-Stück, übrigens.
Eine Revue, multiperspektivisch mit Live-Kamera inszeniert (projiziert an Leinwände an den Bühnenrändern). Eine Gruppe nackter und manchmal halbnackter (unten ohne) Performerinnen. Kraftvolle Frauenkörper zumeist, athletisch, im Laufe des Abends winden und drehen und biegen sie sich an herabhängenden Poles und Ankern, an einem Helikopter auch, der sich von oben auf die Bühne herablässt, und sie wirken dabei gleichermaßen entspannt und konzentriert. Bauchmuskeln from hell, I say. Trainierte Selbstverständlichkeit. Vielfältige Frauenkörper, an Größe, Umfang und Versehrtheit unterschiedlich. Aber was heisst schon „Versehrtheit“. Saioa Alvarez Ruiz ist kleinwüchsig, Zora Schemm hat Downsyndrom, Holzinger hatte in ihrer Jugend eine Eßstörung, Xana Novais erzählt von einer Vergewaltigung. Und darum geht’s dann ja auch.
Unterstützt werden die Performerinnen von zwei Personen aus dem Publikum (wohl abgesprochen), die für kurze Szenen auf die Bühne gerufen werden, und einer Gruppe von sechs Mädchen, geschätzt im Alter von vier bis vierzehn, die aus einer Loge heraus auf die Bühne gerufen werden – von Captain Hook (Annina Machaz), einer in die Karikatur hinein räudigen, glasäugigen, halbnackten Piratenfigur mit exzessiver Messer- und Rumverliebtheit (Versehrtheit Alkoholismus), die durch den Abend führt. Gerahmt als eine Art Talentshow, Ophelia casting gewissermaßen, mit dreiköpfiger Jury, im Anfangsteil unter dieser Ägide eine Reihe von Showstücken, die meisten darunter körperlich stark fordernd, an Grenzen gehend.
Princess Tweedle Needle hebt erst mit ihren Ohrläppchen, dann mit ihrer Vulva (zw. daran befestigten Piercings) eine 5-L-Wasserflasche, in die sie zuerst ihre Tränen gefüllt hatte, Flasche um Flasche einem Koffer entnommen; sie waren ihr vom Ozean zurückgegeben worden. Eine andere Performerin mit Badekappe und Schwimmbrille – ich kann sie aus der Namensliste heraus nicht identifizieren – gibt einen houdini-esken Entfesselungstrick in einem Wassertank rechts vorne an der Bühne. Sie öffnet mit einer von Captain Cook aus dem Publikum lukrierten Haarnadel Schlösser an den sie an Armen und Beinen fesselnden Ketten. Die letzte Fessel, ein Ring um den Hals, will nicht so rasch aufgehen wie die anderen. Es wird still. Ihr Körper treibt an die Wasseroberfläche, wo sie von zwei anderen Performerinnen in Empfang genommen wird. Dem Blick des Publikums bleibt verborgen, was dann geschieht; wir sehen nur drei Körper im Wasser, von den Schultern abwärts. Holzinger ruft Bühnenarbeiter herbei. Man weiss erst nicht so recht, ist es Notfall oder Spiel? Es ist aber offenbar so geplant: als etwas, das fast schiefgeht (entnehme ich im nachhinein diversen Kritiken). Das Ereignis sprengt die Talentshow; die Bühnenarbeiter bauen die drei Jurystühle ab, Saioa Alvarez Ruiz kommt im Blaumann herbei und sieht sich das Halsteil aus Handwerkerperspektive an. Die Entfesselungskünstlerin bleibt für einige Zeit hinter dem Tank versteckt, wird dann aber wieder Teil des Geschehens, sichtlich wohlauf.
In dieser Szene steckt viel von der Spannung des Verhältnisses von Trauma und Zerstörung, Kraft und Performance, dass diese wunderbaren Körper den ganzen Abend lang verhandeln. Rückblickend würde ich sagen: die dichteste Szene des Abends. Selbstermächtigung durch körperliche Arbeit und Selbstkontrolle, eine Macht, die aber auch an Selbstzerstörung grenzt, in Selbstzerstörung kippen kann. Holzinger selbst wird später davon erzählen, wie sie als Zehnjährige aufgehört hatte zu essen, bis hin zum Krankenhausaufenthalt. Der Moment der Stärke wäre der gewesen, im Krankenhausbett an die Decke zu starren (das Ganze etwas ins Witzige gebrochen durch einen nonchalanten Verweis auf die 1990er Jahre, Grunge, so in die Richtung: da hätte man ja Kaputtes geil gefunden).
In einer Beschreibung des Stückes lese ich: „Die Akteurinnen erzählen und überschreiben ihre Traumata durch den selbstbestimmt-kontrollierten Flirt mit der Lebensgefahr.“ Ein „flirt“ ist das aber nur deshalb, weil auf der Bühne keine Darstellerin wirklich sterben darf. Das ist die Ambivalenz der Show. Trauma kann man durch Kraft überwinden, möglicherweise gar in Kraft umwandeln, aber man könnte sagen, dass für Frauen immer ein Publikum bleibt, eine Beobachtungsinstanz, die der Kraftausübung Grenzen setzt, im produktiven wie im destruktiven. Dem Zerstörerischen, auch Selbstzerstörerischen, kommt die Frau nicht aus, jedenfalls muss sie auch damit umgehen, solange sich eben damit umgehen lässt und das Narrativ, sei es von Shakespeare oder Homer, nicht Wahnsinn oder Wasserleiche vorsieht.
Variationen zum Thema Wasser, Anspielungsreichtum, Mythen, die sich um Frauen und Wasser ranken, rezitierte Balladen (Schiller, Der Taucher), als Potpourri immer wieder durchbrochen von Trauma-Erzählungen und -Inszenierungen, bzw. in diese fließend, assoziativ plätchernd, für mich als notorische Kohärenzstreberin und Stringenzfetischistin eine Herausforderung. Auf der Bühne ein Schwimmbecken, in das die Kamera von oben hineinfilmt (auch Melody Alia nähert sich immer wieder mit der Handkamera an), hinter dem Becken ein großes Aquarium, das ebenfalls durchschwommen und durchtaucht wird.
Der Schwan und Leda: Eine Performerin mit Schwanhaube zieht der im Schwimmbecken wie auf einem Gynäkologenstuhl ruhenden Xana Novaiz einen Schlüssel aus der Vagina; er steht für den Schlüssel, mit dem sie sich in der dann folgenden Erzählung nach einer Vergewaltigung aus der Wohnung befreien konnte. Das dann wiederum eine auch für mich schlüssige Verbindung von Mythologie, Erzählung und Performance. Sexualität, ja, auch, Gruppenkopulation mit einem Helikopter, darüber wurde vielfach geschrieben, ich hätt’s ehrlich gesagt nicht gebraucht; es schien mir als Spektakel unmotiviert (aber wie sähe denn auch eine motivierte Gruppenkopulation mit Helikopter aus?). Tanz und Freude, oft, räudige Seemanslieder, überbordend, ausufernd, und ich glaube, nackt steppende Frauen mit nichts als Steppschuhen an, ja, das wird mein nächster Fetisch.
Bewegungen durch Wasser, von den Performerinnen erst, dann auch von den Mädels, viel Dahinplätschern, auch metaphorisch. Immer wieder werden gepolsterte Fischschwänze übergezogen, Anspielungen an Meerjungfrauen. Ich würde die ja nicht notgedrungen mit der Aberkennung von Sexualität verbinden, wie es der Begleittext des TQW anspricht, obwohl, klar, eh auch, aber dann auch als Markierung einer Liminalität, eine Andeutung von Zwischenexistenzen, anderen Existenzweisen, für die Sexualität dann eben auch nicht die Bedeutung hat, die sie für humanoide Körper haben kann.
Gegen Ende wird’s düsterer, das Wasser in Tank und Aquarium färbt sich rot, abgetrennte Körperglieder treiben im Aquarium über Tauchenden, das Wasser wird zur Gefahr. Blutige Szenen, Feuer. Die Talentshow kommt am Ende wieder, da liegt die Jury blutig darnieder und röchelt und gurgelt ihre Fragen an die letzte Performerin in verzerrende Mikrofone– ein singendes Kind, das kleinste und jüngste der Mädchengruppe.
Berührende Szenen, Gesten, viele, viel Sanftheit zwischendrin. Das Bild am Ende, als Zora Schemm neben Renée Copraij nach der letzten vieler Applausrunden (standing ovations) die Bühne verlässt, sie gehen nebeneinander her, und Schemms Hand sucht und findet die Hand der anderen.
Das Stück wurde an drei Abenden hintereinander aufgeführt, das körperlich hinzukriegen, atemberaubend.