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- 22 10 2023 - 21:21 - katatonik

Humboldt-Forum, Dach

Man kann um 3 Euro aufs Dach des Berliner Humboldt-Forums. Dort ein Restaurant und eine Aussichtsterrasse, sowie einige künstlerische Interventionen, Installationen. Markant die Kuppel der Kapelle, die Friedrich Wilhelm IV. 1845–1853 auf dem Berliner Schloss errichten ließ, mit Kreuz und einem goldenen Spruchband auf strahlend blauem Untergrund. Der Text ein von Friedrich Wilhelm aus Apostelgeschichte 4,12 und Philipper 2,10 zusammengesetzter Bibelvers:

Es ist in keinem andern Heil, ist auch kein anderer Name den Menschen gegeben, denn in dem Namen Jesu, zur Ehre Gottes des Vaters. Dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind.

Die Deutung ist — selbstverständlich — Gegenstand von Kontroversen. Historisch ging es Friedrich Wilhelm wohl um die Verteidigung des Gottesgnadentums seiner Herrschaft im Anschluss an die Revolution 1848/49 (ausführlich hier). Der Berliner Erzbischof sieht im Vers den Aufruf, der Mensch möge sich allein vor Gott verbeugen, nicht vor einer irdischen Macht. Eine kritische Perspektive ergibt sich aus dem Bezug auf das gegenwärtige Berlin, in dem erstens mehrere Religionsgemeinschaften sowie zweitens auch nichtreligiöse Menschen angesiedelt sind. Eine andere, damit verwandte, stellt den Bezug auf die Sammlungen des Humboldt-Forums her; sie enthalten auch Objekte aus Asien, Afrika und Ozeanien, deren Herkunft nicht immer dokumentiert ist, deren Ausstellungspraxis vielstimmig problematisiert wird — kurz und gut, auch vor dem Hintergrund von kolonialer Missionierung lassen sich Spruchband und Kreuz auf der Kuppel kritisch betrachten.

Wenige Meter von der Kuppel entfernt steht eine Installation von Emeka Ogboh. Auf einem runden Metallsockel zwölf Lautsprecher, umhüllt von buntem Gestricktem, dazu eine Begleittafel. Jede volle Stunde ertönt hier für etwas mehr als zehn Minuten eine Klanginstallation. Sie heisst “Der Kosmos – Things Fall Apart”. Im Zentrum steht das Volkslied “Nne, Nne, Udu” der Igbo in Nigeria: Ein junges Mädchen trägt ein Tongefäß am Kopf, lässt es in einem unachtsamen Moment fallen, es zerbricht in viele Teile (hier der Text mit englischer Übersetzung). In der Übersetzung zumindest ist es das Gefäß, das ihre “troubles” verursacht, sie weiß nicht, was tun. Der Text mündet in Hilflosigkeit und Ratlosigkeit (was soll sie tun), die Gestimmtheit des Liedes hat etwas Wehmut, aber sehr warme Harmonien, zumindest in diesem zwölfstimmigen Arrangement. Es ist, als würde die Musik das Mädchen trösten, und als würde sie die Frage, wer Schuld war an der Misere, nicht stellen, nicht aufkommen lassen, nicht beantworten, wer weiß.

Gerahmt wird die Aufnahme von Gesängen, die laut Begleittafel an eine Zeile aus Chinua Achebes Roman “Things fall apart” angelehnt sind:

Er hat ein Messer auf die Dinge gelegt, die uns zusammenhielten, und wir sind zerfallen.

(“Er” ist im Roman der weiße Mann an und für sich.) Stimmen aus wechselnden Lautsprechern. Die Installation ist unglaublich stark, der Gesang vor dem Hintergrund der prägnanten Kuppel, aber auch des Berliner Stadtpanoramas ungemein wirksam. Er ist in diesem Kontext nicht mehr tröstlich, sondern stellt eine Spannung her, eine Aufforderung, diese Spannung auszuhalten.

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