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- 14 10 2023 - 19:42 - katatonik

Notizen aus der Sixtinischen Kapelle (September 2023)

Eng getaktete, immer noch viel zu große Massen werden durch Sammlungen und Galerien geschleust, eine nach der anderen. Erst steht da ein Hinweisschild „Galerie A, Sammlung B, Sixtinische Kapelle“. Im Raum von Sammlung B folgt dann ein Hinweisschild “Sammlung C, Galerie D, Sixtinische Kapelle”. Und so geht das weiter, ich weiß nicht mehr, wie viele Male es waren, es war eine sich stets verlängernde Schilderkette, eine einzige Schilderfrotzelei.

Wer kurz vor einem der Kunstgegenstände verweilt, wird nach spätestens einer halben Minute weitergescheucht. Na, vor dem Laokoon darf man ein bissi länger, das ist auch im Freien und da hält man den Besucherstrom nicht so auf. Gruppen, viele Gruppen mit Reiseführer*innen, die in Mikros sprechen, mittlerweile haben die meisten Gruppen ja Drahtlosempfänger und Knöpfe im Ohr. Die Reiseführer*innen sind eigentlich Geschichtenerzähler, und warum ist mir das noch nie eingefallen, und hat sich schon einmal jemand mit Reiseführer*innen als Akteuren der Vermittlung historischen Wissens beschäftigt, das ist ja eigentlich ein sehr naheliegendes Thema. Aber dann denke ich auch wieder an das Reden in Zungen, das passt ja zum Vatikan, und man kann die schwer verständlichen Vorsichhinredenden eh schon seit längerem nicht mehr von den Zuanderenredenden unterscheiden; es verschwimmt einfach so viel. „Of course there were no fig leaves at the time“ sagt ein Führer in sehr sauberem britischen Akzent, vielleicht doch eher zu sich selber als zu seiner Gruppe.

Kunst fürs Vorübergehen, weil so viele Menschen eigentlich in die Sixtinische Kapelle wollen, eh nur dorthin, weil so viele Michelangelos Adam auf Aschenbechern und Teetassen gesehen haben, weil so viele an diesen für sie heiligen Ort pilgern, auch in Rollstühlen; die Menschen nehmen viel auf sich für diesen Ort. Am Ende des Parcours, bei der modernen Kunst knapp vor der Kapelle, da gibt’s dann etwas mehr Zeit, denn da wollen alle schon in die Sixtinische Kapelle hinein, und von Francis Bacon oder Mimmo Paladino gibt’s einfach nicht so viele Tassen, denke ich, aber tatsächlich hat Mimmo Paladino im Jahr 2000 für Illy Espressotassen entworfen, wie ich später herausfinde. Und: ja, da hängt tatsächlich einer der Päpste von Francis Bacon, eine der Velázquez-Studien des Portraits von Papst Innozenz X. Wir hatten ja gewitzelt, wenn wir einen Museumsfuzzi fragen, wo die Bacon-Päpste sind, dann werden sie die von uns, bei denen das noch geht, stante pede exkommunizieren, und dann hängt da wirklich einer da, schau an.

Dann dieser riesige Raum, innen drin in einem Machtzentrum der Welt über Jahrhunderte, zu dem nur wenige Zutritt hatten, auch über Jahrhunderte, ursprünglich nur auf Einladung halt. Die Vatikanischen Museen als solche wurden 1771 von Past Clemens XIV gegründet, in der Sixtinischen Kapelle wird das Konklave abgehalten, also schon sehr speziell, muss man sagen. Und du stehst da und packst deine Ferngläser aus, die du als Vogelfreundin eh fast immer dabei hast, und freust dich, denn im Unterschied zu den greisen Kardinälen und Würdenträgern und geladenen Gelehrten und Adeligen, die sich hier über Jahrhunderte hinweg in vermutlich eher funzeligem Licht aufhielten, kannst du dem Adam und diesem ganzen anderen alttestamentarischen Wahnsinn visuell näherkommen, kannst du die Leistung des Michelangelo, die Projektion der gewölbten Decke zu kalkulieren, würdigen, umgeben von hunderten anderen, von denen ein signifikanter Anteil mit dem Alten Testament als religiösem Text garantiert noch viel weniger anfangen kann als du – anderen, die ihre für diese Lichtverhältnisse völlig unzureichenden Endgeräte hochhalten und Fotos machen wollen, was sie aber nicht dürfen, hier nicht, da schreiten die überall platzierten Wärter ein, sonst in den Vatikanischen Museen darf man fast überall schon, aber nicht im gift shop vor dem Regal “Vatican health products” (ich hab’s getestet, trust me, die Verkäuferin war definitiv not amused).

Du kannst darüber nachdenken, ob irgendwo in einem staubigen Büro in Shenzhen einer sitzt, der beim Bedrucken von Tellern mit Adamszenen die Projektion auf den Tellerbeugungswinkel zurechtkorrigiert, an solche unsichtbare Helden des Alltags denkt natürlich wieder keiner. Es kann dir auch auffallen, dass auf einem Gemälde an der Nordwand, das du später als Domenico Ghirlandaios Berufung der ersten Apostel identifizieren wirst, ein Bienenfresser zu sehen ist. Sie sind einfach überall, sogar auf einem Holzschrank im Gift-Shop.

Es gibt übrigens sehr viele Sammlungen in den Vatikanischen Museen. Wenn ich es recht sehe, befinden sich nur zwei außerhalb des Schleusungswegs, der auf die Sixtinische Kapelle zuläuft: die missionarisch-ethnografische Sammlung und die Sammlung etruskischer Kunst. Die ethnografische Sammlung stellt gerade Kunst- und Kultgegenstände aus Ozeanien und den Amerikas (Nord-, Mittel- und Süd-) aus, könnte aber noch viel, viel mehr zeigen, und viel besser, aber sie ist leider eindeutig marginalisiert. Als ob der Vatikan als globaler Akteur nicht ausstellungswürdig wäre. In einem Hof sieht man Reliefs mit Szenen aus dem Leben des Buddha aus Indonesien, die im Rahmen irgendeines diplomatischen Prozesses hierher gelangten, aber die Tür zum Hof ist verschlossen. Man sieht die Reliefs nicht gut, und die Dokumentation ist miserabel. Die Dokumentation zur ethnografischen Sammlung erzählt auch mehr durch das, was sie nicht erwähnt. Missionare waren große Kunstförderer, einige zogen sich auf diesen tropischen Inseln, wo sie kunstfördernd wirkten, gefährliche Krankheiten zu, opferten sich gewissermaßen für die Kunstförderung in Ozeanien. Und es gab Schenkungen an den Vatikan im Rahmen besonderer diplomatischer Kontakte, sehr viele Schenkungen. Das alles ist ziemlich eklektisch, irgendwo zwischendrin liegt ein Navajo-Teppich mit einer linksdrehenden Swastika. Es handelt sich dabei um das „whirling log“, bei den Navajo ein Symbol für Heilung (die Navajo verwendeten übrigens Swastikas in beide Richtungen). Seit den 1930er Jahren protestierten die Navajo gegen die Verwendung des Symbols durch die Nazis und verbannten es aus ihren Flechtkörben und Webereien, sagt der Begleittext, online finde ich dann auch die etwas andere Version, dass dies auf Anordnung der US-Regierung geschah.

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