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- 21 08 2002 - 17:54 - katatonik

Der Regentanz des Medienpietisten

Bundeskanzler, Bundespräsident und Landeshauptleute stiefeln vor Kameras in Dreckwasser herum. Firmen und Prominente spenden laut. Unprominente spenden in der Öffentlichkeit leiser, weil sie zu viele sind und anonym, aber vielleicht im privaten Kreis nicht weniger laut, weil sie dort prominenter sind.
Wer könnte denn auch etwas dagegen haben? Wer hat denn etwas dagegen? Ist das nicht einfach gesellschaftliche Rollenprosa: Jeder handelt seiner Rolle und seinen Interessen gemäß, und so lange das nicht den Hilfsprozeß behindert, ist auch nichts dagegen zu sagen?
Medienpietisten rufen zu mehr Demut und Stille in dieser schweren Stunde. Bescheiden und leise sei der Helfer, zurückhaltend und anonym, ohne Kamera und Firmenlogo. Nur nicht die Not “instrumentalisieren”, also zu einem Instrument für gewisse Zwecke machen.
Zweckfrei helfen? Nein, das meint der Medienpietist eigentlich nicht. Er ist kein Edelpuritaner und hat seinen Kant bereits am Flohmarkt verkauft. Er meint vielmehr: nicht mit dem falschen Zweck im Hinterkopf helfen. Helfen, damit die Leute wieder vernünftig leben können, ja, das ist gut. Helfen, weil man selbst ein besserer Mensch wird dadurch – oh, das ist ja noch besser. Helfen, weil einen dann die Leute wählen, oh nein, das ist schlecht.
Der Medienpietist mag Rollenprosa nicht. Oder vielleicht mag er nicht, dass auch in Ausnahmesituationen Rollenfestschreibungen fortgelten, wo er doch gerade da für alle die Rolle “Mensch” geltend machen wollte, und keine andere. Was er mit dieser Rolle verbindet, sagt er uns nicht, und das schon seit Jahrhunderten. Deshalb werden seine Werke auch so selten gelesen. So viel wird aus ihnen allerdings klar: Mit der Rolle “Mensch” geht eine gewisse Eindimensionalität einher. Wenn Menschen etwas tun, dann tun sie das aus genau einem Motiv heraus, aus nicht mehr und auch nicht weniger. Unbestimmtheit und Motivgemengelagen, das kennt der Medienpietist nicht.
Ach ja. Mit jeder Notlage verbindet der Medienpietist die notwendige Moralreform des Großen Ganzen. Man kann nicht einfach Hochwasseropfern helfen, auch wenn man das tut, um im Rampenlicht zu stehen, sondern muß obendrein ein besserer Mensch werden dabei, geläutert von Nationalismus, dubiosen Ideologien und dem Verfolgen von Eigeninteresse überhaupt. Die Notlage hat moralische Läuterung herbeizuführen, und damit basta.
An schwachen Tagen ist der Medienpietist gelegentlich weniger hochtrabend und spricht etwas zeitgemäßer davon, dass die Notlage uns allen doch zeige, dass wir auch in unserer heutigen Zeit mit diesem ganzen übertriebenen Individualismus und Egoismus doch auch noch zusammenhalten könnten.
Das beruhigt ihn.
Dann tritt er ab, zum Regentanz.


Dass Notlagen moralische Läuterung mit sich bringen sollen, ist speziell bei Fluten ein uralter religiöser Topos, der tief in unseren zivilisatorischen Code eingebettet ist. Da es ja kein Gott mehr sein kann, der da Sünden straft, blickt man auf die Natur. Dabei überrascht es, dass gerade die Technokraten, die mit ihren Entscheidungen ja den grössten Einfluss auf die Umweltgestaltung nehmen, zu negieren scheinen, dass sie selbst ein wichtiger Bestandteil dieser Natur sind.

gHack (Aug 21, 08:03 pm) #


Faustregel: je tiefer eingebettet in den zivilisatorischen Code, um so geringer der Erklärungswert für konkrete aktuelle Verhaltensweisen.
Aber mir ging es hier jetzt weniger um Ursachenforschung und wie sie von wem betrieben wird, sondern darum, diese komische Instrumentalisierungsdiskussion einmal, äh, zu instrumentalisieren, hehe.

katatonik (Aug 21, 08:07 pm) #


Das ist schon sehr meta... Oft steckt bei den Kritikern der Medien aber auch der Vorwurf dahinter, dass die Katastrophe nicht passiert wäre, wenn die Gesellschaft nicht so kaputt und korrupt wäre.

gHack (Aug 21, 08:27 pm) #


Das ist wohl wahr. Obwohl, bis jetzt ist merkwürdigerweise noch niemand auf die Idee gekommen, von "gesellschaftlichem Versagen" bei Katastrophen in derselben Weise zu reden wie von "menschlichem Versagen". Man redet zwar schon hin und wieder davon, dass die Gesellschaft versagt (meist, wenn's um jugendlichen Amoklauf geht), aber eben anders als etwa die Rede vom menschlichen Versagen bei Zugsunglücken oder so.

katatonik (Aug 21, 08:32 pm) #


Mir gefällt dieser Text (inhaltlich und stilistisch) einfach sehr gut.

docbuelle (Aug 22, 10:07 am) #


Dankeschön.

katatonik (Aug 22, 11:11 am) #


Übrigens, weil es thematisch dazu paßt: Überraschend wählten die Leser des "Standard" Alfred Gusenbauer zum "Gummistiefelkönig". Gusenbauer befand sich, anders als die Kandidaten Erwin Pröll (Platz 2), Thomas Klestil (Platz 3) oder Joschka Fischer (Platz 4), auf Korsika, fern jeder Überschwemmung und wohl auch fern aller Gummistiefel.

katatonik (Aug 22, 11:22 am) #


Ich wuerde mir mehr Helfen im buddhistischen Sinne (geheim), denn Helfen im christlichen Sinne (Hoffnung auf Belohnung) wuenschen in diesem ganzen Medienmarathon. Oder vieleicht sehe ic hdas auch alles ganz falsch und anders ist es richtig.

funzel (Aug 22, 02:02 pm) #


Die Gegenüberstellung von buddhistischem und christlichem Helfen stimmt so wohl nicht. Das geheime Helfen bleibt eben so lange geheim, als niemand darüber spricht, weshalb es aus dem Medienmarathon per se rausfällt.

katatonik (Aug 22, 03:18 pm) #


Ich bin ja nicht so bewandert wie du :-) Ja. Aber ging es nicht eben darum, dass da das Helfen aus dem Medienmarathon faellt, oder zumindest das "Ich helfe !" ?

funzel (Aug 23, 08:12 am) #


Worum es mir ging: die überall aufblitzende Wendung "X instrumentalisiert die Katastrophe" etwas näher zu beleuchten, zugegebenermaßen in diesem Text eher mit rotierender Discokugel als mit analytischem Permanentneon.
Worum es Dir geht, versteh ich nicht ganz. Meinst Du, dass so etwas wie Helfen jetzt aus dem Medienmarathon rausfallen soll, oder dass es das tatsächlich tut und dieser Umstand beklagenswert oder bedenkenswert ist?

katatonik (Aug 23, 11:03 am) #


Ich meine das es herausfallen sollte. Oder nicht dass es herausfallen sollte, aber die Leute nicht so ekelhaft da vor der Kamera rumspringen sollten. Das Interesse der Medien ist klar und imho legitim, aber die Leute sollten das nicht so unterstuetzen. Ich kann das Helfen und Spenden und die Nabelschau und weiss der Geier nicht (zur gleichen Zeit sind hundertausende anderswo gestorben) einfach nicht mehr hoeren. Das ist alles.

funzel (Aug 23, 04:26 pm) #


Erzähl' doch mal die Geschichte zu dem Bild :)

gHack (Aug 24, 09:57 pm) #

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