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- 20 April 2024, 12:09 - katatonik

Dinge, die auftauchen

Ich aß den Mittagssalat in der Institutsküche, in Gesellschaft eines Postdoktoranden, der ein Bändchen von Kropotkin mitgebracht hatte. Wir sprachen darüber, wie wichtig es sei, breit zu lesen, Dinge zu lesen, die nicht zu eng mit dem Thema verbunden wären, an dem man gerade arbeitet, Texte und Literaturen zu lesen, die nicht fachwissenschaftlich wären. Herumzulesen.

Eines Abends in die Breitenseer Lichtspiele, ein Kino, das es seit 1909 dort gibt, wo es heute ist, “Alice in Wonderland” (1915), dazu Live-Sound von Philipp Quehenberger. Der Film natürlich ein restauriertes Filmfragment (“scenes missing”). Tierfiguren aus Pappmaché, historisierende, groteske Kostüme an der Hof-Entourage. Zitternde, zappelnde, aus dem Charakter des Mediums heraus unbeholfen wirkende Bewegungen in fahlem Schwarzweiß, dazu ein treibender, vibrierender, wummernder und immer wieder nervös überdrehender Sound, ein Zappelton zum Zappelfilm, zumeist exaltiert. Eine Szene, in der Hummer zur Lobster Quadrille aus dem Meer kommen. Da passte der Rhythmus des Sounds exakt zu den Bewegungen, und plötzlich hatte der über das elektronische Gerät gebeugte Körper vom Quehenberger, eine recht dünne Figur, genau dieselbe Krümmung wie die Hummerkörper, und er schien sich mit ihnen mitzubewegen. Ein Moment der performativen Serendipity.

Rock lobster.

Wiener Bezirke, in denen es kein Kino gibt; Wiener Bezirke, in denen es keinen Fleischhauer gibt.

Deadbeat is now Scott Monteith.

People happen.

Die Heidelbeerkiste über Crowdfarming, 2kg, aus Huelva, sie traf in Wien ein, ohne dass auch nur eine Beere beschädigt gewesen wäre.

Und wie ich vor einiger Zeit einem gegenüber saß, der sich beschwerte, ein anderer würde unwahre Geschichten über ihn erzählen, und ich meinte, ach, wenn ich daran dächte, was schon für unwahre Geschichten über mich erzählt wurden, das könne man doch nur belächeln, und er fragte mich lächelnd, welche unwahren Geschichten denn zum Beispiel über mich, und mir fielen nur welche ein, die eben genau er über mich erzählt haben soll, aber dann fiel mir ein, es könnte natürlich sein, dass genau dieses Erzählen wiederum Teil der unwahren Geschichten wäre, die über ihn erzählt wurden. Deswegen kam das Gespräch in ein lächelndes Stocken, und wir aßen weiter Kuchen.

Und ich weiß jetzt endlich, woran C., ein Musikerfreund, aus den Augen verloren irgendwann in den 1990ern, vor 12 Jahren verstorben ist, viel zu früh, ich hatte das irgendwann übers Internetz mitbekommen, aus der Ferne in Deutschland. Es sterben eh alle viel zu früh immer, aber der war halt annähernd in meinem Alter, und wenn Gleichaltrige oder Jüngere sterben, ist das immer auf eine besondere Art und Weise zu früh. Dabei ist es genauso zu früh, wenn welche sterben, die älter sind. Es war also jedenfalls ein Aneurysma, ein plötzlicher Tod, in der Badewanne. Ich fast erleichtert, weil ich immer anderes befürchtet hatte, Depression, Suizid. Aber natürlich kann man auch an einem Aneurysma sterben, wenn man vorher depressiv ist, das ist ja nicht ausgeschlossen. Erleichterung ist bei Todesarten grundsätzlich eine seltsame Reaktion.

Und immer noch pandemische Disruptionsgeschichten, retrospektiv erzählt: jüngere Kollegen, Staatsbürger von EU-Ländern oder Japans, die zur Zeit, als die Pandemie begann, in Thailand oder Australien beschäftigt waren. Der in Australien wurde aus dem Land geworfen, weil sein Aufenthaltstitel vor dem verordneten Ende eines Lockdowns auslief und aus Gründen keine Verlängerung möglich war; man hätte ihm einen Escort der Botschaft seines Landes zum Flughafen angeboten, und er saß dann mit sehr wenigen anderen im letzten Flug nach Tokio, von dort weiter nach Europa. Gespenstisch. Auch die in Thailand, alle ihre Arbeitsverträge nicht verlängert bekommen, ratzfatz, weg aus dem Land, ties broken. Und gleich der Gedanke: Sowas passiert Geflüchteten andauernd. Eine normalisierte und systemische Grausamkeit, von der Weiße oder recht gut verdienende Personen aus einem Ausland kaum betroffen gewesen waren. Unter den Bedingungen einer einsetzenden Pandemie wurden sie es.

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- 13 April 2024, 20:04 - katatonik

Women at night

Und dann findest dich plötzlich in einer Situation wieder, die auch schon lang nicht mehr: mit anderen, in dem Fall: zwei Frauen, zusammengewürfelt, die du jetzt nicht so besonders gut kennst, dich bei einer Feiergelegenheit zusammenplauderst und -trinkst, und dann sagt die eine, jetzt gemma noch dorthin, und dann setzt die sich ins Taxi, während wir beiden anderen uns aufs Fahrrad werfen, und wir am Fahrrad sind halt dann doch schneller, so den halben Ring entlang.

Und dort ist dann halt eine andere Feiergelegenheit, und dort geht es weiter mit Plaudern und Trinken. Nur, dass das damals halt häufiger so völlig offene oder irgendwie andere Szenarien waren, Wohnungsfeste, Menschen aus Subkulturen mit im vielfältigen Werden begriffenen Leben. Jetzt sind das drei Frauen mit Karriere, in nicht ganz unwichtigen Positionen, und das eine Fest ist eine Forschungsfeier, das andere ist eine Party von Wirtschaftstreuhändern. Beide in Dachgeschoßen von historischen Gebäuden in unterschiedlichen Modernisierungsgraden, fantastischer Ausblick, da sagst nix mehr.

Und es is immer noch so, dass es dann um alles Mögliche geht, beim Reden, es wird ja so lang und so viel und so schnell geredet, bis allen schwindlig wird. Aber heute geht es mehr um launige Geschichten im Berufsleben, zumeist mit wichtigen Männern, unglaublich, was da alles abläuft. Es geht viel um erfahrene Lebensgeschichten, gibt ja doch schon so Einiges davon, und Einschläge und Krisen rundherum, vor allem in Familien. Pflegenotwendigkeiten, Hilfsnotwendigkeiten, Hilfsbedürfnisse. Das sind die zwei Konstanten mit den Frauen jetzt in diesem Alter: Mächtige Männer und Pflege.

Draußen tobt ein Sturm, und durch den radelst du dann im Zentimetertempo nach Hause, und das kommt dir auch wie so eine Metapher vor: Du hast ein Fortbewegungsgerät, das der Situation nicht mehr ganz angemessen ist, aber du musst halt nach Hause damit, du willst das jetzt durchziehen, könntest ja auch in ein Taxi und das Radl morgen abholen, aber nein, es sind eh nur mehr zwei Kilometer, das packst du, du hast ja noch etwas Kraft und plötzlich erstaunlich viel Geduld und stemmst dich gegen den Wind, was vielleicht lächerlich wirkt, sich aber in der Situation als das ausnehmend Richtige anfühlt.

Ein paar Tage später trinkst dann auch mit ein paar Frauen, nach einer Sitzung, diesmal bist du selbst die älteste, die anderen drei sind auch im Betrieb, aber noch auf der Suche nach einer Perspektive. Ganz jung sind sie nicht mehr, an die Vierzig, aber heute kriegst du ja in der Wissenschaft vor Vierzig kaum Perspektive, will sagen: kein Arbeitsverhältnis ohne festgelegtes Ablaufdatum. So sind sie also auf der Suche, und du redest hin und her, erzählst die Geschichten von deinen Bewerbungen und Bewerbungsversuchen, von denen du glaubst, ihre Erzählung würde den anderen was bringen, ohne allzu belehrend zu wirken. Eine Art Ratschlag, eine Art Information, eine Art Unterhaltung.

Und sie mischen sich da hinein, die Erkrankungsgeschichten, die eine ja immer noch mit Perücke, Bewerbungsvorträge sehr anstrengend, ja, und immer die Unsicherheit, merkt jemand was, also von der Perücke, soll sie darauf hinweisen, dass, oder eher nicht, und ich frage nicht, ob sie glaubt, wie sie einen Professuralltag durchstehen würde, wenn schon der Bewerbungsvortrag so kraftzehrend. Man muss den Leuten nicht die schmerzhaften Fragen stellen, von denen man ja sieht, wie oft und zermürbend sie sich selbst stellen. Das Wetter jetzt wärmer, es war ein unverschämter Sonnentag (hot pants sightings!), der Alkohol war nicht ganz so viel, obwohl der Bayer wieder da war mit dem guten selber gebrannten Calvados, der aber klar ist, weil nicht im Holzfass gelagert, von dem die Farbe kommt, also da muss man schon kosten, und diesmal fährt sich das Radl leicht nach Hause, du musst dich gegen nichts stemmen, auch nicht gegen den Wind.

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- 13 April 2024, 19:08 - katatonik

Heat dreams

Es war so heiß, dass auch die von einer Stadtbewohnerin privat geschaffene Attraktion “Setz Dich zur Entspannung ins Grasauto” geschlossen hatte. Dort konnte man sich in eine mit weichen, üppigen Grasmatten bewachsene ausgebrannte Karosserie eines Verbrenners begeben, die nun langsam vertrocknete. Dies stellte ich am Weg zu einer Musikperformance fest, die aus dem unveränderten Abspielen einer Folge “Baywatch” bestand. (aufgew.)

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- 29 March 2024, 20:14 - katatonik

Call and Response (Volkstheater, Wien, 27.3.)

Nach eineinhalb Wochen recht anstrengender, sehr lohnender und überaus freundlicher gemeinschaftlicher Lektüre philosophischer Sanskrittexte dann noch abends in ein Konzert, 22 Uhr in der Roten Bar im Volkstheater, eine angemessene Zeit für den Ort, eine nahezu frivole Zeit für meinen Biorhythmus. Zu Fotos, die Chris Marklay zwischen im Frühjahr 2020 im pandemielockdownbedingt leeren London aufgenommen hat, improvisierten Steve Beresford, Martin Siewert und Paul Wallfisch. Ein sich recht intim anfühlendes Konzert. Die Fotos projiziert an die hintere Bühnenwand, links Beresford, rechts Siewert, unterhalb und vor Siewert Wallfisch, der immer auf Englisch das Datum eines Fotos ansagte, als Titel des folgenden Improvisationsstücks.

Marklays Fotos zeigen leere und vor allem stille Straßen, verlassene Parks und unbenützte Spielplätze mit sinnlosen Absperrungen, Läden mit heruntergelassenen Sperrgittern, stehende Drehtüren. Einblicke in verschlossene und verdeckte Leerräume. Marklay hatte bereits damals diese Aufnahmen großteils geometrischer Muster, die als scores gelesen werden können, an Beresford geschickt, der dazu zu komponieren begann; es gibt ein Buch der beiden und eine CD, “Call and Response”, so auch der Titel des Konzerts in der Roten Bar. (Interview mit Marklay und Beresford mit Paywall) Nun das Ganze also um die abstrakten Gitarrenklänge und elektronischen Klänge Siewerts erweitert, Wallfisch gleitet und klopft am Vibraphon. Es ist eine sehr eigene Form der Verbindung von Bild und Klang, eine Erweiterung und Transformation der 2020 angelegten Idee, auch eine nicht uncharmante Variation über das Thema, wie sich mit wachsendem zeitlichen Abstand den Zeitläuften abgerungene Bedeutungen ändern. Ich sehe zwischendurch in meine Kalender-App, da steht für diese Zeit wenig. Das eine oder andere Online-Meeting, dann Einträge der Art “Befundbesprechung”, “Tumordiagnose”, “OP”.

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- 28 March 2024, 17:14 - katatonik

M. (contd.)

Wie bist herkommen, mit dem Bus? Das fragt mich M. fünf Mal in zehn Minuten, und ich sage, jedes Mal, nein, der D., ihr Sohn, hat mich mit dem Auto mitgenommen. Ja, der D., sagt sie dann, ebenfalls jedes Mal, er kümmert sich so gut um sie, sie will keine Belastung für ihn sein, aber. Es gibt eine 24-Stunden-Pflegerin, der D. fährt jetzt nur noch einmal in der Woche hin, die Strecke von gut 120 Kilometern von da, wo er wohnt; woanders. Die Pflegerin, ja, hat sie sie mir schon vorgestellt? Sie ist sehr bedacht auf Höflichkeit, und auch das fragt sie mich mehrere Male. Und auch da, ja, geduldig die Antwort, wir haben einander schon vorgestellt, wir wurden schon. Der D. hat mich vorgestellt, als seine Halbschwester, das ist ein stilles Upgrade, denn eigentlich bin ich seine Stiefschwester, aber wer nimmt das schon so genau, sowas. Jedes Mal, wenn wir einander wieder vorgestellt werden sollen, nicken die Pflegerin und ich freundlich, ich um einen Tick freundlicher als sie, die so etwas den ganzen Tag erlebt und daher weniger frische Geduld aufzuwenden hat.

Die Pflegerin vermittelt von einer Agentur. Sie kommt aus Rumänien, ist dann vier bis sechs Wochen da, das ist schon lang an einem Stück, der D. findet das nicht so gut, denn auch die Pflegerin hat ja Familie und wird spürbar gereizter, je länger sie von der Familie weg ist. Die Pflegerin kümmert sich, sie will perfekt sein, aber M. ist nicht perfekt, und vor allem nicht immer ansprechbar. Sie will ihre Ruhe, vor sich hin sinnieren, nicht immer reden. Smalltalk fand sie immer schon ärgerlich öde. Sie wollte immer etwas lernen, immer etwas wissen. Sie möchte eine um sich, von der sie etwas lernen kann, aber 24-Stunden-Pflegerinnen sind halt nicht so, sie sind Frauen aus Ländern, in denen sich während ihres Lebens alles geändert hat, Frauen, die um ihre Familien kämpfen, von denen wahrscheinlich die Jüngeren irgendwo anders, in Deutschland oder so, alle verstreut, und dort, in Rumänien, Realitäten, die sehr weit weg sind von denen hier.

Die Pflegerin kümmert sich, sie will sich immer kümmern. Wenn M. sich nach vor beugt und etwas vom Couchtisch nehmen möchte, ist die Pflegerin gleich da und will ihr helfen. Das nervt leicht, es ist auch kontraproduktiv, denn M. soll sich ja bewegen und kognitiv so eigenständig wie möglich bleiben. Das muss geübt werden mit 86, wenn man schon dement ist. Sie ist sich ihrer Demenz bewusst, ich bin versucht zu sagen: noch. Sie weiß, dass sie vergisst. Sie ist oft ruhig, und dann glaube ich zu verstehen, dass sie in ihrem Gedächtnis nach etwas fischt und nichts findet. Sie quittiert das mit Humor, macht Witze, manchmal, dann wieder kommt da so eine Traurigkeit in ihre Augen über das, was sie verloren hat, eine Ängstlichkeit über das, was sie im Begriff ist von sich zu verlieren, wovon sie noch nicht wissen kann, dass sie es verlieren wird. Es gab Schwierigkeiten, Andeutungen von Aggressivität, Spannungen. Sie hat nun ein Medikament verschrieben erhalten, das Ausbrüche verhindern soll. Sie wirkt ruhig. Wirkt sie gedämpft? Ich könnte es nicht sagen.

Die Finanzen, das Organisieren, alles macht der D. Der Antrag bei der Krankenversicherung auf Erhöhung der Pflegestufe, Aufteilung der Medikamentenrationen für die nächsten zwei Wochen auf kleine Schächtelchen mit Tagesdosen, Durchsprechen der Medikationsrhythmen mit der Pflegerin, Telefonate mit der Diplompflegerin bei der Agentur, die die Pflegerinnen organisiert. Lebensmitteleinkäufe; die Pflegerin kocht. Aber meistens isst sie eh Chips und Soletti, Chips und Soletti, das macht sie glücklich, das bringe ich ihr also mit. Sie hat ihr Leben nicht mehr in der Hand, wie sie es immer in der Hand hatte, geschult im Buchhalterischen, flink mit den Zahlen. Es scheint ihr recht zu sein, dass der D. das alles macht, sie wirkt dankbar, aber es kann nicht leicht für sie gewesen sein, das Aufgeben, das Abgeben.

Das Wissenwollen will sie noch nicht abgeben. Die Bücher da links, die gehören geordnet, sagt sie, mehrmals. Das hat sie vor. Ich beginne mich daran zu gewöhnen, meine stillen Gedanken auszusprechen, weil ich so viel mit ihr sprechen will, wie ich kann. Es fühlt sich ein bisserl an wie Improvisationskunst. Du legst jemandem etwas vor, ein paar Sätze, dann kommt etwas, in eine oder andere Richtung, und so geht es weiter. Es muss nicht kohärent sein, darauf kommt es nicht mehr an. Es geht nicht mehr um Inhalte, es geht um Gesten. Es muss kein Ratschlag sein, keine Nachfrage, es reicht eine Sprache der zugewandten Beobachtung. Ja, da hast Du ja viele Nachschlagewerke, Brockhaus, Langenscheidt-Wörterbücher, jede Menge. Ja, sagt sie, sie muss viel nachschlagen, das ist ihr am wichtigsten, dass sie nachschlagen kann, wenn sie etwas braucht. Was soll sie machen, mit dem Lernen, fragt sie mich, und ich sage zu ihr, nimm dir was, wovon du eh schon viel weisst, Altgriechisch jetzt, zum Beispiel, das hast du doch immer gern gemacht, schau da doch wieder rein, freu dich, was du kennst, schau, was du da noch Neues lernen kannst. Aber fang lieber nicht was ganz Neues an. Ja, sagt sie mit überraschender Klarheit, was ganz Neues, weisst, das vergess ich dann immer, und dann hör ich auf mich zu interessieren, das geht nimmer, das freut mich nimmer.

Sie ist aus der Welt. Ihr von Israel oder der Klimakrise zu erzählen, das hat keinen Sinn mehr, hat der D. gesagt. Sie vergisst es sofort, oder vielleicht will sie es vergessen, denn, weisst, manchmal vergisst sie halt schon auch einfach nur, wenn ihr etwas nicht passt, wenn sie etwas nicht interessiert. Sie ist in ihrer Welt, sie hat noch eine Welt, die die ihre ist, aber so, wie ich mir das vorstelle, wird diese Welt zusehends verwaschener, ungreifbarer, nicht linear, vielleicht noch nicht linear, in Pulsen, in Wellen.

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- 16 March 2024, 16:57 - katatonik

Desolate (San Francisco, Februar/März 2024)

Ein Hotel in Nob Hill; ein altes, knarzendes Gebäude mit einem Lift mit innerer Faltmetalltür. Ein faux fireplace, der eine Gasheizung ist, mit einem Schalter aktivierbar. Eine Tischlampe mit Elefant als Fuß. Elefantenförmige Griffe am knarzenden Holzschrank. Schlecht schließende Fenster. Über dem Bett, hinter Glas und gerahmt, ein paar Zeilen von Kerouac in Courier gesetzt, auf bräunlichem Papier (Schreibmaschinenanmutung, Vergilbtheitsanmutung). Über dem Klo, auch hinter Glas und gerahmt, das Foto von Veruschka mit Gepardin. Verneigungen vor der Architektur des sehr frühen und der Kultur des etwas späteren 20. Jahrhunderts, alles leicht desolat. Wine hour ab 17 Uhr vor einem anderen faux fireplace, geschliffene Freundlichkeit des Kellners (Familie aus Mexiko), Vorabendplaudern mit anderen Gästen. Die Dame aus Norwegen, mit ihrer Tochter hier, beide, um einen Marathon zu laufen. Sie ist Ärztin auf einer Ölplattform, da hätte es unlängst einen Unfall des Transporthelikopters gegeben, alle sehr beunruhigt, schließlich ist der Transporthelikopter die life line jeder Bohrinsel. Reisesplitter, von den Massai, vom underground tunnel des Zenkōji-Tempels in Nagano, aus Guatemala.

Portsmouth Square, Chinatown, ein kleiner Park. Spielgeräte für Kinder, an denen ältere Leute, alle mit surgical masks, langsam Kraftübungen vollführen, Rücken aushängen. Ein Denkmal für die erste publicly funded school Kaliforniens. Eine Statue einer Frauenfigur, die “Statue of Democracy”. Eine ältere Dame mit Einkaufstaschen und einem Transistorradio (chinesische Lieder, Frauenstimme, schrill) möchte eine Tasche mit Blumen partout an den Sockel der Statue lehnen, doch der Wind weht sie immer wieder um. Das passt ihr gar nicht. Sie unternimmt mehrere Anläufe, selbst ein Denkmal des Starrsinns, bis sie dann doch die vom Wind abgewandte Seite findet und wählt. Ein Mann mittleren Alters, caucasian, Rucksack am Rücken, geht hin und her durch den Park. Er spricht laut in Rechtsdokumentssprache, als würde er Vorschriften für den supreme court (das Wort fiel mehrmals) rezitieren. Unter einer Pergola Obdachlose, aufgetürmte Besitztümer. Eine Gruppe Menschen am anderen Ende des Parks, gemischte Ethnien und Altersgruppen, versammelt um einen, der doziert. Es geht um irgendeine Vereinigung, der man nicht einfach beitreten könne, da müsse man schon Besonderes leisten, um aufgenommen zu werden. Es scheint nicht, als würde er Reiseführer sein; er klingt nach Seelenfänger. Eine Sekte vielleicht. Der Rechtsdokumentrezitator geht an der Gruppe vorbei. Seine Rezitation überschneidet sich mit der Seelenfängerei.

Abends dann die falsche Bahn erwischt, Metro statt BART, daher drei Kilometer entfernt von der Gray Area an die Oberfläche gekommen, von jenem Theater- oder Kinobau, wo an diesem Abend Actress und drei andere Acts auftreten. Noch Zeit genug, zu Fuß zu gehen. In den USA zerdehnt sich das immer, ich lese, es ist irgendwohin drei Kilometer und denke dann, ach, das geht doch locker zu Fuß. Dunkelheit, leichter Regen, wenige Menschen, Häuserblöcke, Palmen. Eine episcopal church, aus deren Innerem hartes Schlagzeug tönt. Dann die Mission Street, breit, Lokale, Shops, abgefuckt, temporäre food stalls am breiten, desolaten Gehsteig (mittel- und südamerikanisch), mehr Menschen, Taco shops, Gestalten, die ihren Körper schlecht oder nicht unter Kontrolle haben, stärkerer Regen.

Recht gebügelter Veranstaltungsort für “antidisciplinary collaboration … towards a more equitable and regenerative future”, der kritischen Auseinandersetzung mit Technologie und Kultur verschrieben. Angenehme Mezcal-Cocktails an der Bar, ausgesuchte Freundlichkeit allerorten. Die Konzerte im Rahmen des Noise Pop Festivals 2024. Der Sound passend zur Gegend: glänzende Dunkelheit, verborgene Dimensionen, Rohes und Desolates, aufblitzende Wärmemomente, überraschende Wendungen.

Erst Eileen Sho Ji, ein Ambient Set, sehr unterstützende Fanbase im Publikum. Dann alles Einpersonenshows. mars kumari, eine recht düstere Elektronikerin aus Oakland (Album I Thought I Lost You, hauntologisch verbrämt). Chuquimamani-Condori, bolivianisch-kalifornisch, mit Cowboyhut, lässt südamerikanische Musikelemente in brachial-tänzerische Elektronik hineinschmelzen (Album DJ E). Die alle führen vortrefflich hin zu Actress (Darren Cunningham, das ist gut hinzuzufügen, falls jemand Suchmaschinen betätigen möchte). Räume aus Sound gebaut, Skulpturen aus Sound ziseliert, visuelle Strecken, die sehr eigene Galaxien entwerfen. Live lohnt sich, der Mann kann Dramaturgie, oh, und wie (letztes Album LXVIII). Die Trackstruktur der Alben ist das eine, die Dramaturgie seines Live-Sets das andere. Mir kommt vor, man erkennt sein handwerkliches Geschick daran, dass er live zwar mit von den Alben erkennbarem Material arbeitet, aber dann doch einen sehr eigenen, neuen Klangstrom generiert. Ich bin hin und weg. Gleich nach dem Konzert strömt das Publikum unverzüglich nach draußen, viele in die nahegelegenen Taco shops, alles verläuft sich. Durch stärkeren Regen zur Metro-Station, etwas verirrt dabei. Die Station recht leer, erst später lese ich, dass sie nachts als gefährlich gilt. Ich spürte keine Gefahr.

Im Nordwesten der Stadt am Strand die Ruinen der Sutro Baths, benannt nach Adolph Sutro, in Aachen 1930 geboren, mit der Familie im Alter von 20 in die USA emigriert, vom Goldrausch nach San Francisco gespült, reich geworden, 1894 bis 1898 Bürgermeister von San Francisco. Die Baths: 1894 errichtete, luxuriöse Badeanlagen, bis zu 10.000 Menschen Fassungskapazität, in einer Bucht, die heute “Naiad Cove” heißt. Im Laufe des 20. Jahrhunderts geschlossen, umgebaut, teils abgerissen, abgebrannt. 1897 klagte John Harris erfolgreich gegen die “whites only”-Policy in den Sutro Baths. Er erhielt eine recht geringe Kompensationssumme, von der er jedoch die Gerichtskosten bezahlen musste; praktisch dürfte der rechtliche Sieg dann auch wenig geändert haben. Ein Wasserbecken ist noch da, Reste von Steinmauern. Wenige Spaziergänger*innen, die sich gegen den an diesem Tag sehr starken Wind stemmen. Einige Wasservögel planschen; ich kann sie mit meinem Feldstecher nicht identifizieren. Der Wind ist so stark, dass es mir nicht gelingt, die Hände ruhig zu halten. Am Hang oben das “Cliff House”. Sutro hatte hier ein achtstöckiges viktorianisches Gebäude errichten lassen, das zwar nicht im Zuge des San Franciscoer Erdbebens, doch bald danach abbrannte. Weiter Blick über die Westküste. Mit den Wellen laufende Limikolen, im Sand laufende Menschen, kleine Striche.

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- 5 March 2024, 04:37 - katatonik

Leerstellen

Ein zusammengewürfeltes Hotel, eingeschoßig der Vorderbau, der Zwischenbau, dreigeschoßig die Hinterbauten, ein japanisch gestalteter Zwischengarten mit unjapanischer Hochsprudelanlage im Teich (keine Fische), über dem Kolibris flirren. Auf der einen Seite des Hotels das Arboretum der reichen Universität Stanford, die im übrigen eine eigene Stadt ist, auf der anderen der Ort Palo Alto; in den digitalen Stadtplänen viele bekannte Namen von Tech-Unternehmen. Geschäftsgebäudeblöcke, zwischendrin flach gebaute Einkaufszentren, nicht wenige leerstehende Läden. Im Arboretum sehr viele Eukalyptusbäume. Ich lernte dereinst, dass Eukalyptusbäume sehr viel Wasser aus dem Boden zögen und daher schlecht umweltverträglich wären, gerade in Zeiten zunehmender Trockenheit, aber das scheint nunmehr umstritten zu sein.

Ein Swimming Pool als Leerstelle im Zentrum des Hotels, 25 Yards. Einmal schwimme ich bereits um 05:30, noch im Dunkeln, bei annäherndem Vollmond, das beheizte Wasser dampft in der Morgenkälte. Burt Lancaster schwamm sich als Ned Merrill durch die Pools des reichen, Parties feiernden, bröckelnden Kaliforniens. Um diesen Hotelpool herum werden Geschäfte getrieben, online, offline; Menschen erholen sich zwischen Geschäftsterminen. Im Verlauf einer knappen Woche sehe ich ein Mal nachmittags einen Vater mit seinem kleinen Sohn (China) planschen, zwei Mal frühmorgens eine ältere Dame (weiß) kraulen. Der Pool als Leerstelle im Geschäftsgetriebe.

Schon beim Frühstück ungemein sorgfältig zurechtfrisierte, ondulierte, flächig geschminkte, manikürte, gebügelte, glattgestrichene Frauen in Business-Kostümen, durchtrainierte Männer in dazu passenden Anzügen (ist Slim Fit in den USA tatsächlich weniger verbreitet als in Mitteleuropa?). Molligere Männer in Hosen und Hemden, die nach Versicherungsvertreter aussehen. Die eine oder andere Person in alternativem Reise-Outfit (Rucksack, kein Rollkoffer), eine Familie mit drei kleinen Kindern, was machen die hier, und warum? Sind sie wegen des family weekends der Universität da? Diesen Termin merkt man jedenfalls in den Restaurants; viele asiatische Familien, ich vermute Indien, ich vermute China, ich vermute Korea, ich vermute seltener Japan. Einmal, abends in der Hotelbar, eine Gruppe aus älteren und jüngeren Personen aus Indien, die starken indischen Großfamilien-Vibe haben. Alle scharen sich um den Pater Familias, vor allem die Männer. Die Frauen gehen irgendwann, alle. Es bleiben die Männer, alle, dann wird business gesprochen, aus welchen Investments man rausgehen sollte, in welche man reingehen sollte, mit wem man darüber sprechen sollte, wer darüber mit wem gesprochen hätte, sowas. Gespräche mit eindeutigen Gravitationszentren, personal, thematisch. Im Service, in den Küchen, beim Reinigen der Infrastruktur fast ausschließlich Latinos und Latinas, nur nicht im chinesischen Restaurant und an der Rezeption des Hotels.

Sonne, obszön viel Sonne; Wärme. Im Februar sollte das nicht sein, nicht in Nordkalifornien, wo es denn doch bedeutend kühler ist als im Süden. Es hätte viel geregnet in den letzten Wochen, sagt P., als er mich vom Flughafen abholt. Er zeigt auf die Hügel südlich von San Francisco: Sie wären alle grün, das sei sonst um diese Jahreszeit nicht mehr so, sei überhaupt selten so. Das Wasserreservoir, an dem wir vorbeifahren, dennoch auf eher niedrigem Stand. Es wird nicht mehr, sagt P., nüchtern. Einige Tage später wird A., der aus Berkeley vorbeikommt, en passant erzählen, sie hätten dort da ja schon vor Covid über Zoom unterrichtet, zu Zeiten, wo man wegen der von den Waldbränden verdorbenen Luft einfach unmöglich rauskonnte.

Der Hoover Tower am Stanforder Campus, 14 Stockwerke hoch, im 14. Stockwerk die Aussichtsplattform. Unten im Erdgeschoß eine permanente, sehr hagiografische Ausstellung über Herbert Hoover, den 31. Präsidenten der USA, der von 1929-33 im Amt war; er wird wegen seiner Haltung gepriesen, die Freiheit und Wohlstand predigte, als Vorvater Hayeks, als Fels in der Brandung des bedrohlichen Kommunismus (Fragmente der Berliner Mauer, Berlin-Kalter-Kriegs-Paraphernalia). Eine temporäre Ausstellung behandelt Watergate. Ich wäre da von mir aus nicht unbedingt hineingegangen, hätte mich nicht eine der zahlreichen, sehr bemühten Angestellten fast hineingeschubst. Mehrere ältere Männer und Frauen arbeiten da. Sie wissen schon: das Pensionssystem. Sie widmen sich den nicht besonders zahlreichen Besuchenden hingebungsvoll, erzählen viel und gerne, sind auch wahnsinnig gut informiert; ich höre ihnen gerne zu. Besonders gerne und ausführlich lasse ich mir über das Glockenspiel erzählen, oben, die insgesamt 48 Bronzeglocken, die 1941 zu Ehren von Herbert Hoover als Geschenk der Belgian-American Education Foundation hierher gelangten (Hoover hatte Belgien nach dem 1. Weltkrieg im Kampf gegen Hungersnöte geholfen). Carillon ist der Ausdruck, das ist ein schönes Wort. Es gibt einen designierten carilloneur, das ist aktuell Timothy Zerlang. Er spielt hier mitunter, nimmt auch apprentices an, sei dabei aber sehr wählerisch. Welche Stücke würde er denn spielen, frage ich, ja, also adaptierte Standards (am Notentisch kann ich “Morning has broken” erkennen), aber es gäbe auch eigens für das Glockenspiel komponierte Stücke (deren Komponisten nicht weithin bekannt wären). Ich möchte umgehend Kali Malone hier spielen hören. Es sind im übrigen nicht die Glocken, die schwingen (sie sind zu schwer), sondern die Schlegel, betätigt mit klaviaturartig arrangierten Hand- und Beinhebeln. Ich verlasse Stanford mit der Bahn, von einem Bahnhof, der so groß ist wie und weniger belebt als der von Neusiedl am See.

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- 11 February 2024, 14:48 - katatonik

Picdump (04 Feb-11 Feb)

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- 11 February 2024, 12:43 - katatonik

Berlin Intermission

Der oktogonale Bau der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche strahlt nach außen bläulich, verbreitet auch im Inneren ein Licht wie ein permanenter Sonnenuntergangszustand an einem bewölkten Tag. Stetes Zwielicht. Das Blau stammt aus Gabriel Loires Glasfenstern, von denen die Kirche (einschließlich des halb zerstörten Altbaus) über insgesamt 22.790 Stück verfügt, jedes davon ein Unikat. Blau, so heisst es, sei Ausdruck des Versöhnungsgedankens. Die blauen Fenster bzw. Glasbausteine sind in zwei Reihen angeordnet; die Beleuchtung erfolgt durch weiße LEDs dazwischen (früher mit großen Glühbirnen).

Konzert. An der Orgel Kali Malone und Stephen O’Malley (ich kann akustisch nicht ausmachen, bei welchen Stücken er beteiligt ist). Ich sehe sie nicht, denn die Orgel befindet sich auf der Empore hinter den Sitzreihen, wie es in Kirchenräumen eben so ist. (Man hat für das Konzert vorne beim Altar einige Reihen mit Blick auf die Empore aufgestellt, was den nicht ganz angenehmen Effekt hat, dass einander Teile des Publikums gegenüber sitzen.) Es gibt ausgewählte Orgelstücke von Malones neuem Album All Life Long, das etwa eine Woche nach dem Konzerttermin erscheinen wird. Der Prozess aufwändig: In diesem Interview beschreibt Malone, dass die Registration einer Pfeifenorgel vor dem Konzert vier bis acht Stunden in Anspruch nähme; die Konzerte selbst wären eine hoch konzentrierte Angelegenheit, aufgrund genau kalkulierter Wiederholungsmuster. Sie spricht dabei von einer Art Athletik.

Das erste Stück eingewöhnend, die verbleibenden verfolgen analoge Kompositionsmuster, ermöglichen damit Aufmerksamkeit für Nuancen. Die Stücke beginnen mit polyphonen (Dis-)Harmonien, die mit einer eine Melodie suggerierenden Struktur stärkere, angedeutet rhythmische Wechsel durchlaufen, wiederholt, transformieren sich langsam zu gehaltenen polyphonen Vibrationsflächen, die ausklingen. Jedes der Stücke evozierte zu Beginn eine Art Unwohlsein, eine Art Schmerz, fast ein Abstoßen, dann aber wirkte ein Magnetismus, der zur Beobachtung der Registerwechsel einlud, am Ende immer das Gefühl eines tief befriedigenden Mitschwingens. Ein erstaunliches Konzert. Vibrationen.

[Ich verstehe zu wenig von Orgeln. Die Orgel der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche in Berlin, der Prozess der Registration einer Pfeifenorgel.]

Im Hamburger Bahnhof Anri Salas Videoarbeit The Long Sorrow (2005); hineingestolpert ohne Vorinformation. Ein leerer weißer Raum, ein vertikal gekipptes großes Fenster, das die Außenwelt so zerteilt, dass im oberen Teil des Fenstervierecks der hellgraue Himmel eingeschlossen ist, die untere Kante der gekippten Scheibe mit den Dachrändern von Wohnblöcken zusammenfällt. Im unteren, geöffneten Fensterteil ist eine Assemblage aus Blättern und Blüten sichtbar. Erst langsam wird mir klar, dass es sich um den geschmückten Hinterkopf eines Menschen handelt, eines Mannes, eines schwarzen Mannes mit Dreadlocks. Saxophontöne, erst suchende Melodien, dann härtere, weniger harmonische Phrasen, gelegentlich durchbrochen von Vokalisierungen, die Schmerz anzeigen. Schnitt nach außen: Erst der ganze Kopf, dann in Großaufnahme im Profil das Gesicht des Free-Jazz-Saxophonisten Jemeel Moondoc (1945—2021), der sich für diese Performance im 18. Stockwerk eines Berliner Hochhauses (es wird wohl von den Bewohner*innen der Anlage “long sorrow” genannt, daher der Titel ) außerhalb dieses Fensters aufhielt. Wo und wie genau er stand, bleibt unklar, doch er muss gestanden haben, das erweist sich im Lauf der Performance aus seinen Bewegungen.

Die Kamera bleibt fragmentarisch an seinem Oberkörper, immer wieder Großaufnahmen. Die Blüten und Blätter in seinem Haarschmuck, teils frisch wirkend, teils verdorrt. Ihr Übergang zur Filzstruktur seiner Haarmatten, seine verschwitzte Gesichtshaut, ihre Unebenheiten, ihre Poren, die Muskelbewegungen seines Gesichtes, Runzeln und Entspannung seiner Stirn. Die Kamera wendet sich aus dem Fenster schräg nach unten. Grüne Bäume, fahrende Autos, dazwischen der Blütenschmuck in seinem Haar, der sich in der Glasscheibe spiegelt und dann eben doch nicht mit den Bäumen verschmilzt. Am Ende ein scharfer Schnitt auf die oberen drei Stockwerke des Gebäudes, das eine Fenster, vor dem er stand, nun leer, noch von den darüber befestigten Filmscheinwerfern angestrahlt. Wir bekommen kein Bild, das sich ganz anfühlt. Anschnitte von Schmerz, Fremdheit und Kraft.

Durch die Grünfläche vor dem Hamburger Bahnhof lief ein Fuchs, an den Menschenschlangen vorbei, die am Tag der Museen auf den freien Eintritt warteten. Kitsune.

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- 29 January 2024, 07:50 - katatonik

Und dann nochwas

Es war Winter, an einer Endstation mit mehreren Straßenbahnen. Schienen in Schleifen, sie kamen von überallher. Viele Wartende. Wägen fuhren ein, fuhren aber immer vorbei, bevor jemand zusteigen konnte. Immer diese alten Wägen, die ganz alten Triebwägen, vereinzelt, gelegentlich eine Bahn aus den 1960er Jahren, nichts Späteres. Es gab Schnee. Alle waren zu spät dran.

Es gab Zeichen in der schmutzigen, schlammigen Stadt, Farbflecken in gelb, rot und türkis mit schwarzen Kreuzen, die markierten, wo sich welche Menschen aufhalten durften, und die Menschen auch. P., den ich lange nicht gesehen hatte, verschwand hinter einer halboffenen Brettertür mit türkisem Kreuzlogo, noch bevor ich ihn ansprechen konnte. Ich trug ein gelbes Zeichen, das mich als Hundeperson markierte, und musste einen kuschelbedürftigen Boxer (ich hasse Kuscheln mit Boxern) motivieren, Treppen zu einem für uns erlaubten Platz hinabzulaufen.

Dazu der Soundtrack, eine Beat-Band spielte eine Gitarrenschrabbelnummer mit dem Textfetzen:

come on make me dinner
take me where I am
make me miss my dinner

und dann nochwas.

(#aufgew.)

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