Daseinsparadoxien im Pünktchenhemd
Fehlfarben, tja, das einzige Konzert in der Schweiz, war extra so beworben, gar nicht knapp. Zürich, Schauspielhaus, Bühne Pfauen. Unsereiner dachte, sicher ausverkauft, extra vorher telefonisch reservieren. Die verschmitzte Dame bei der Kartenabholung dann: “Sie wissen, was Fehlfarben ist?” – “Ja.” – “Dann wissen Sie sicher auch, dass das Konzert nicht um 20 Uhr anfängt …” – “Ja.” – ”...sondern um 21.” Sie hatte sehr schöne Augenfältchen, die Dame.
|
Reservierung wäre nicht nötig gewesen. Das Theater war bestenfalls zur Hälfte gefüllt. Die Vorgruppe, Rockformation Diskokugel, gestand, erstmals in bestuhltem Saale zu spielen. Ihrer (voraussehbaren) Aufforderung zur Bestuhlungszerschmetterung leistete niemand Folge. Aber die Menschen wippten und zuckten, so gut es Holz und Polsterbezug gestatteten. Hausrockungsmusik der heftigen Art, empfehlenswert. Hübsche Texte mit Bekenntnis zum Reim, auch wenn er kracht und Zacken macht. Die Zwischenansagen haben Witz und bleiben unaufdringlich.
Pause. Vereinzeltes Herumstehen, fragmentarisches Zurkenntnisnehmen vom Halbwitz, der das Theater in Gestaltung und Beschriftung durchzieht. Gelockertes Biertrinken. Der durchtanzende Jung-Punk fachsimpelt über Popmusik und Versatzstücke. Der Himmel über dem Theater zeigt immer noch Dämmerung.
Fehlfarben. Am Schlagzeug Saskia von Klitzing vom Feinsten.
Musik zwischen taubengrauer kalter Wut und exaltiertem Freudensprung, am besten grad so dann, wenn’s eine in’s and’re kippt oder s’and’re in’s eine. Die Freude des Pünktchenhemds am Sprung in die Luft, der schuhlos landet.
Die Musiker verhalten sich verhalten. Das Publikum zeigt sich begeisterter als der Barde dem Land zugestehen mag (“In Bern sagte mir einer, im Publikum hätten drei geklatscht, und das wär in der Schweiz Zeichen für Ekstase”, oder so ähnlich). Peter Hein macht immer so Schauspielerdaseins- und Theaterwitze, deren einige nicht so ganz gelungen sind, aber beim einzigen Konzert in der Schweiz vor halbleerem Raum geniesst der Barde Humornachlass.
Am Ende der Zugabe, in der instrumental gedehnten Fassung von “Paul ist tot”, bricht Peter Hein in einen schnellen, virtuosen Monolog über das Reimen und Wassagenwollen und Nichtseinfallen aus, der mir in dem Moment wie die perfekte Verbalisierung verdammt tiefer Daseinsparadoxien vorkommt, und wie er da so dasteht und spricht und überquillt und den Nacken an den Hinterkopf zieht und mit den Händen flattert und rudert, es ist begeisternd.
Im Foyer hing auch noch ein Poster, auf dem der Schauspielhausleiter Christoph Marthaler auf eine Leiter klettert und eine Diskokugel montiert (Abt. Halbwitz). Die Diskokugel im Foyer war nicht mal angesteckt.