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- 22 05 2005 - 23:21 - katatonik

Fratzen

Samstag nachmittags im Drogeriemarkt. Vor mir kommt ein geschätzt gleichaltriges Paar zur Kassa, er hat sein Bein verletzt, trägt den Fuß im Gips und spreizt ihn horizontal ab, geht sehr beschwerlich. Sie ist kleiner, pummelig, langes braunes Haar. Sie trägt eine Baby-Trinkflasche zur Kassa und stellt sie auf das Fließband. Die beiden sprechen in einer slawischen Sprache miteinander.

Die Kassierin, breit lächelnd wie alle Kassierinnen hier, mit hoher Stimme kreischend flötend, grüßt, scannt ein, fragt: “Gratissackerl?” Die Frau sagt nichts, hat nicht verstanden, was sie gefragt wird. Sie zahlt, empfängt Wechselgeld, tritt ein wenig zur Seite.

Die Kassierin grüßt mich, scannt mein Zeug ein, fragt mich: “Gratissackerl?” Unterdessen deutet die Frau auf die kleinen Sackerln, die hinter der Kassierin am Plastikverschlag hängen. Die Kassierin blickt sie an, entrüstet. “Was?” Die Frau deutet, sagt “bitte”. Das Gesicht der Kassierin verzerrt sich zur empörten Fratze. “Aber ich hab’ sie doch g’fragt, ob Sie ein Gratissackerl wollen, und Sie haben nix g’sagt!” Ich meine, die Frau hätte sie eben nicht verstanden, murmle weiter, das sei doch wirklich kein Grund, sich so aufzuregen. Die Frau meint, sie hätte “bitte” gesagt. Die Kassierin, lauter: “Aber Sie haben doch nix g’sagt!”

Die Frau bekommt ihr kleines Sackerl. Ich wiederhole, man müsse sich doch nicht so aufregen, nur weil jemand etwas nicht verstanden hat, aber die Kassierin hat die Frau bereits wieder ignoriert, die keifende Fratze in eine lächelnde Fratze für den nächsten Kunden verwandelt, die Frau und der Mann sind draußen, und ich fühle mich unendlich hilflos.

Herr S., mein charmant-impulsiver Nachbar, hätte der Kassierin wahrscheinlich einfach ein geschliffenes “Du Oasch!” entgegengebrüllt. Ich beneide ihn.

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