Das selbstverständliche Lätzchen
Am Nachhauseweg machte ich im Eckcafé unter den Bäumen halt. Früher war das nur ein Eckcafé, also vor der Pandemie. Im ersten Pandemiesommer zimmerte man sich auch dort eine Außenterrasse, nun gibt es also einen Gastgarten, lauschig unter den Bäumen, man fragt sich, wieso nicht schon immer, aber vermutlich gab es keine Genehmigung dafür, jetzt also schon.
Als ich ankam, war niemand da. Leere Tabletts mit leeren Gläsern auf einigen Tischen zeugten von kürzlichem Besuch. Der Gastgarten war nicht leer; er war verlassen. Der Kellner kam nach einiger, etwas zu langer Zeit; ein ausgesucht höflicher und nachgerade geschäftsschädigend zögerlicher oder einfach nur erschöpfter Herr mit Pferdeschwanz, Zwirbelbart und — überraschend — bundesdeutscher Aussprache. Nach dem ersten Getränk und etwas Lektüre wollte ich schon fast gehen, da kam ein weiterer Gast. Ein fülliger, größerer Mann, der sich an den Tisch schräg vor mir setzte, in angenehmer Entfernung. Beobachtbar, aber nicht in der geringen Distanz, die wechselseitige Aufdringlichkeit begünstigen würde. Ich blieb, nicht wegen ihm, sondern aus einer Laune heraus. Der Kellner, er näherte sich zögerlich an und stellte erst das eine und dann das andere in Aussicht (“Was darf ich zu trinken bringen?” — “Vielleicht etwas dazu?”); es wurden ein Bier und ein kleines Gulasch gewählt. Die beiden kannten einander nicht; das war offensichtlich.
Der Mann saß dann ruhig vor seinem Bier, nahm einen Schluck um den anderen. Mit der Zeit kam das Gulasch an. Der Kellner stellte es wortlos und mit kontrollierter Geste vor dem Gast ab. Dann trat er hinter den Gast. Er schwenkte etwas, das ich anfänglich für eine Papierserviette hielt, weiß, doch es war größer. Was tat er da? Er riss an einem Ende des rechteckigen Papiertuchs herum. Die Bewegung war unverständlich. Dann aber trat er neben den Gast und legte ihm mit der größten Selbstverständlichkeit, die man sich vorstellen kann, das Papiertuch als Lätzchen um. Den zum Teil abgerissenen Streifen verwendete er, um das Lätzchen hinter dem Hals des Gastes zusammenzubinden. Dann kam keine weitere Geste, kein Abschluss einer Handlung, nichts, was das Ganze markiert hätte; er ging einfach, und das bekräftigte die Selbstverständlichkeit des Lätzchens.