In Quarantäne
Morgens kommt per SMS das positive PCR-Ergebnis, mit dem zu rechnen gewesen war. An diesem Tag hatte ich ohnehin vorgehabt, das Hotel zu wechseln. Pflichtschuldigst rief ich nun an der Rezeption an, um Bescheid zu geben. Der Rezeptionist meinte, ich solle so bald als möglich auschecken — Check-out-Zeit war an sich 11 Uhr —; ich ersuchte höflich, bis 11 im Zimmer bleiben zu können, bis ich die weitere Unterkunftslage sondiert hätte. Das gewährte man mir. Ich war nicht überrascht; E., die Konferenzorganisatorin, hatte bereits erzählt, dass positiv getestete Tourist*innen in der Regel aus ihren Hotels geworfen würden, weil die Hotels einfach nicht auf Quarantäne eingerichtet wären. Nun, aus welchen Gründen auch immer, Sorge um die anderen Gäste war’s in diesem Fall nicht. Man frug nicht nach, ob ich in den letzten zwei Tagen irgendwelche Hotel-Facilities benutzt hätte (habe ich nicht, mit Ausnahme des Aufzugs), man trug auch keine Sorge dafür, dass ich z.B. den Aufzug nicht mehr benutzen würde. Hätte man übrigens Informationen über “isolation facilities”? Der Rezeptionist sprach von einer Liste, auf meine Nachfrage hin verwies er wenig hilfreich auf Google.
Das andere Hotel, in das ich einchecken wollte, hatte auf meine gestrige, noch vorsichtig formulierte Anfrage über die Buchungsplattform (“es gibt einen Infektionsverdacht, könnten Sie mir bitte mitteilen, ob die Reservierung aufrecht bleibt, sollte er bestätigt werden?”) nicht geantwortet. Ich schob eine weitere Nachricht nach, ohne Antwort, rief dann aber nicht an. Ich befürchtete, in einer Pattsituation zu landen: Hotel 1 schmeisst mich raus, Hotel 2 sagt mir am Telefon, sie nehmen mich nicht. Dann lieber gleich zu Hotel 2 fahren, wenn die Ausländerin dann dort an der Rezeption steht, muss man sie irgendwie abfrühstücken, um sich keine Probleme zu schaffen. Also auschecken und ins Taxi, was gewiss die Quarantänebestimmungen verletzte, mir aber als Sünde lässlicher erschien als die U-Bahn.
Hotel 2, das übrigens wirklich schick aussah, wies mich dann tatsächlich ab. Auf meine Frage, wo ich denn hin könnte, rief der junge Rezeptionist wortlos irgendwo an. Zwei Minuten später hatte ich eine Reservierung im Quarantänehotel. Der zweite Rezeptionist, ein etwas älterer Herr mit schlechterem Englisch, brachte mich sehr fürsorglich nach draußen. Er trug meinen Koffer und besorgte mir dann ein Taxi, was bedeutete, dass er längere Zeit mit dem Handy herumhantierte, während ich das schöne Wetter genoss. Strahlend blauer Himmel, Sonnenschein. Es war Mittagszeit, einige der Taxiservices waren nicht verfügbar; ich weiß nicht, warum. Ich war jedenfalls enorm dankbar, dass er sich um mich kümmerte. Die Typen von Hotel 2 hätten mir nicht helfen müssen, sie taten’s aber ohne mit der Wimper zu zucken und beyond the call of duty. Die Buchungsplattform wird dann noch den gesamten bereits abgebuchten Betrag für Hotel 2 rückerstatten — auch das hätten sie gemäß ihrer eigenen Richtlinien zu diesem Zeitpunkt nicht mehr tun müssen.
Nun also im Quarantänehotel, nahe einer der zahllosen Universitäten der Stadt, im Norden, hügelige Gegend, belebt, viele kleine Restaurants, die ich alle nicht besuchen kann. An der Rezeption hängen englischsprachige Dankesnachrichten von Leuten aus Bangladesh, Indien und sonstwo; im Internet schwärmen die Besucher*innen aus Vor-Covid-Zeiten von einem bemühten Geschäftsführer, der selbst Touren durch die Stadt anbietet. Bis zum Sommer mussten Ausländer*innen in Korea eine 14tägige Einreisequarantäne durchlaufen; Hotels wie dieses hatten sich wohl darauf spezialisiert, sie aufzunehmen. Ich hatte im Internet eine Liste solcher Etablissements gesucht, aber nicht gefunden; es gab eine Plattform, eine Art airbnb-Klon, wo Kurzzeit-Unterkünfte für Covid-Positive angeboten wurden, die meisten davon privat und um horrendes Geld. Da man jetzt ja nicht mehr automatisch nach Einreise in Quarantäne muss, aber Tourist*innen bei Infektion sehr wohl müssen (7 Tage freilich nur), dürften designierte Quarantänehotels wohl ihre Geschäftsmodelle an den geringeren Andrang angepasst haben.
Wie auch immer: Dieses Hotel gibt’s noch für Quarantäne. Es ist erstaunlich, wie der Befund, eine isolationsbedürftige ansteckende Krankheit zu haben, eine plötzlich von den Menschen rundherum trennt und Unwohlsein erzeugt; hier, wo ich sein durfte, fühlte ich mich sofort wieder wohl, halt am richtigen Ort. Der ultrafreundliche Rezeptionist erklärte mir von Müllhandhabung bis zu Bettwäschewechselmöglichkeit (wechseln muss ich natürlich selber, ich soll halt anrufen, wenn ich neue brauche) und Geschirrspülmittel alles, was es zu erklären gab. Er drückte mir eine Schere in die Hand. Falls es Essensreste zu entsorgen gäbe, die für die Toilette zu groß wären, sollte ich sie damit zerkleinern. Netflix gäbe es auch, gratis. Und wenn ich was bräuchte, nur anrufen. Es gibt ein italienisches Hotel mit “five star chef” im Hause, das auch Paccheri serviert, zu denen ich ein sentimentales Verhältnis habe; schaumamal. Ein gelegentlicher Espresso affogato kann jedenfalls nicht schaden.
Nun bin ich also für sieben Tage ab gestern in Quarantäne. Meine Erkundungen verlagern sich aus dem Stadtraum in den virtuellen Raum; ich sondiere Essensbestellmöglichkeiten und Zustellservices für groceries, die ausländische Kreditkarten oder Barzahlung erlauben (it’s complicated). Ich versichere allen, die mir besorgte E-Mails schreiben, dass es mir gut geht, versichere dem Organisator der zweiten Konferenz nächste Woche, dass ich die opening address auch gerne über Zoom gebe und natürlich auch meinen Vortrag halten werde, und versichere dem Virus, dass es auch weiterhin nicht willkommen ist und sich gefälligst schleichen soll. Meine Mitarbeiter*innen, von denen fünf auch für beide Konferenzen in der Stadt sind, fragen, ob sie mir was bringen können; ich bin gerührt. Ich tausche mich mit anderen infizierten Teilnehmer*innen an der ersten Konferenz aus; man erteilt einander Ratschläge und bietet moral support. Nachmittags ruft eine Dame vom Public Health Center an, um meinen Aufenthaltsort zu überprüfen. Dass das jetzt ein anderes Hotel ist, stört sie nicht vernehmlich. Sie erkennt den Namen sofort, ich muss nicht einmal die Adresse durchgeben, das ist eben tatsächlich eine anerkannte quarantine facility. Ich weiß nicht, welches Level von Kontrolle mir bevorsteht, die Informationen fließen spärlich und seitens der Behörden nur durch koreanische SMS (Google translate rulez ok), aber das macht nichts. Bisher lief das alles beruhigend glatt.