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- 1 05 2025 - 11:07 - katatonik

Prosecco und Disko für frisch Operierte

Die Transporteure im Krankenhaus, die Patient*innen vor Operationen in ihrem Bett zum und vom Operationssaal schieben, oder in Rollstühlen zu und von Untersuchungen. Kompakte, mitunter grobschlächtig wirkende und häufig tätowierte Männer, jovial im Umgang, geschult in der Kunst des alters- und geschlechtergerechten Kompliments, das je nach Disposition der komplimentierten Person bierernst schmeichlerisch oder mit einem Augenzwinkern vorgebracht wird, das eine Solidargemeinschaft des Die-Situation-persönlich-aber-nicht-ernst-Nehmens herstellt. Blutjung, jo, eh, sicher. Sie sind nervös, sagt der Transporteur zum OP im Aufzug dann überraschend leise und lapidar. Ja, ich bin nervös, sage ich. Das war alles. Atmen.

Beim Einschleusen in einem recht kleinen Raum dieses nicht allzu großen Krankenhauses eine Szene von berührender Würde. Der Transporteur erklärt, das OP-Hemd müsse nun ausgezogen werden (das ja hinten offen ist), er würde es oberhalb der Brust abstreifen, dabei achtet er auf die korrekte, Entblößung vermeidende Lage der Decke. Von rechts rollt ein anderer Transporteur die Bahre, oder wie immer das Ding heißt, auf dem sie dich in den OP rollen, heran. Die beiden Herren tauschen die Bettdecke gegen vorgewärmtes grünes OP-Tuch, wiederum sehr diskret entblößungsvermeidend. Der Körper wird ersucht, sich selbsttätig von Bett auf Bahre zu bewegen.

Im Vorraum zum OP-Saal muss noch ein Zugang gelegt werden, das macht die Anästhesistin. Es klappt an der ersten gewählten Stelle nicht gut; es schmerzt die Nadel. Im Saal selbst gelingt es dann an einer zweiten Stelle, doch die schmerzende Nadel wird nicht mehr entfernt. Das irritiert, denn dass es in dieser Atmosphäre, in der so vielen Werten, Regungen und Befindlichkeiten dieses Körpers so viel konzentrierte Aufmerksamkeit gewidmet wird, gerade darauf — so kurze Zeit vor dem Wegdämmern — nicht mehr ankommt, das ist, mit Verlaub, ein kleiner Sprung im Professionsporzellan. Während noch etwas Sauerstoff durch eine Maske administriert wird, äußert die Chirurgin, nach einem kurzen Gruß vollständig im konzentrierten Profimodus aufgegangen, den Wunsch nach bestimmten Rundpolstern auf dem OP-Tisch, auf den der Körper dann in Bauchlage gewuchtet werden wird, wenn das Bewusstsein stillgelegt ist. Ein Assistent hat bereits andere Rundpolster dort abgelegt und kommt ihr doch glatt mit einem “aber die haben wir bis jetzt immer genommen”. Ihre kurze Entgegnung “die anderen halten besser” wischt seine Bemerkungen, die inferioren Polster und allfällige Nervositäten weg.

Die offenen Augen erblicken zuerst eine Uhr an der Wand. Etwa vier Stunden sind vergangen, und das Bewusstsein ist sich dessen bewusst. Da ist die Chirurgin, mit ihrer sehr sanften und absolut überzeugenden Stimme, “alles gut gegangen”. Da bringt eine Schwester ein Funktelefon und fragt “sind Sie bereit für Ihren Gatten?”. Es wird viel gegattet und gegattint in diesem Aufwachraum. Es gibt Schläuche, die Flüssigkeiten zuführen, Schläuche, die Flüssigkeiten abführen, Verkabelungen zu Messgeräten. Ein leichtes Brennen im unteren Rücken. Schwindel, der geduldig und unbekümmert macht, der das Bewusstsein im herumliegenden Jetzt hält, sodass ihm dessen Ausdehnung in die Zukunft gleichgültig ist. Die Zukunft, sie wird noch fast 24 Stunden dauern, denn das Krankenhaussystem vermag sich hier im Aufwachraum besser und präziser mit dem Körper und seinen potenziellen Schmerzzuständen zu beschäftigen als im Krankenzimmer. Schwester A., in der zweiten Schicht, administriert weiteren Schwindel (leichtes Opioid), ich solle einfach denken, in einem Sitz zwei Gläser Prosecco runterg’stellt zu haben. Der Körper lacht. Ich hab ja eh nix zu tun, sag’ ich, da kommt’s auf den Schwindel wirklich nicht an.

Achtsamkeitsmeditationen beginnen häufig mit dem Hinweis darauf, es gäbe jetzt nichts zu tun, nichts zu leisten, keine Aufgabe. Die einzige Aufgabe im herumliegenden Schwindel ist Atmen. Die Sauerstoffsättigung im Blut wird über einen dünnen Schlauch hoch gehalten, der mit einem putzigen Schaumstoffplug im Nasenloch fixiert ist. Als man ihn probehalber entfernt, weil der Plug doch etwas unangenehm reibt, wird die Last auf den Lungen deutlich. Später, als man mir das Mobiltelefon vom Krankenzimmer geholt hat (toller Service) und sich das Bewusstsein mit sozialen Netzwerken vernetzt, kommt sofort ein Warnton, Sättigung unter 80. Der Körper kann noch nicht atmen, wenn sich das Bewusstsein vernetzt. Er bekommt von der ersten Schwesternschicht Wasser administriert, auf Zuruf, die zweite stellt dann schon die Wasserflasche zur Selbstbedienung ab. Der Körper macht Fortschritte.

Der Aufwachraum ist recht groß, L-förmig, und doch ziemlich geschäftig. Es werden andere hereingeschoben. Bei einigen ist die Rede davon, dass sie dann in einer halben oder ganzen Stunde nach Hause gehen könnten, aha. Anderen wird angekündigt, dass sie dann oder dann auf die Station kommen würden, soso. Alle wollen Wasser und kriegen zuerst nur Zitronenstaberln angeboten. Ärzte treten an Betten heran und informieren in konzentriertem Ton über Verlauf und Fortgang. Es lassen sich Wortfetzen ausmachen, Satzfetzen, Krankheitsbilder zusammensetzen, synthetische Operationen des Bewusstseins setzen ein. Das geht nun auch zusätzlich zum Atmen, ohne dass die Sättigung sinkt.

Das Bewusstsein sucht sich Ablenkung. Es versucht, die Schlitze in diesen Deckenplatten zu zählen, die ich später als “Dralldurchlass” zu bezeichnen lerne (danke, Internet). Es gelangt jedes Mal zu einer anderen Zahl und registriert konsequenzloses Scheitern. Es plaudert mit Schwester A., wenn sie etwas mehr Zeit hat. Bonding über biografische Parallelen: die Berufswahl von Frauen gegen Familienwünsche. Es bemerkt grüne, langsam wandernde Lichtpunkte an der Decke. Wirklich? Ja, sagt, Schwester A., sie hätten da so einen Sternenhimmel installiert. Das Bewusstsein reagiert mit einem Witz über Diskokugeln für frisch Operierte, zustandsadäquat geschwindigkeitsreduziert.

Es registriert widersprüchliche Impulse, Empathie einerseits, leichte Genervtheit andererseits, als der ältere Herr gegenüber unmittelbar nacheinander drei Pflegenden von seinem Oberschenkelschmerz berichtet und sie ihm alle sagen, er bräuchte bei den Schmerzmitteln bitte noch etwas Geduld, und, ja, ein Oberschenkelschmerz wäre bei seiner Art der Rückenoperation völlig im Rahmen. Der Herr wirkt ungehalten, will gehört, angehört, zugehört werden, da spricht sich ein Bedürfnis nach Aufmerksamkeit in einen Zustand hinein, in dem es nie und nimmer gestillt werden kann. Aber am Ende, als man ihn zurück ins Krankenzimmer rollt, bedankt er sich überschwänglich bei Schwester A. Er würde dem Krankenhaus einen Brief schreiben und extra die gute Behandlung im Aufwachraum hervorheben, ihre ganz besonders, wie hieße sie noch.

Gegen Mitternacht wird eine Frau hereingerollt, die soeben entbunden hat, das Bewusstsein erschließt einen Kaiserschnitt, der nicht geplant gewesen war. Es registriert überrascht, wie wach und kognitiv präzise die Frau beisammen ist. Der Vater kommt hinzu, noch eine Frau, sie setzen sich hinzu, und das Bewusstsein wundert sich etwas, dass all dies hier in diesem großen Raum stattfindet, aber es war ein Notfall. Es ist von Plazenta die Rede, von etwas, was sich noch ablösen müsse, dies aber, wie der hinzugekommene Arzt erklärt, von selbst tun würde. Als Arzt und Schwestern abtreten, nimmt das Gespräch juristischere Wendungen, es ist wohl etwas geschehen, was so nicht hätte geschehen sollen, es wurde eine Entscheidung getroffen, die die Mutter so nicht hätte treffen wollen, nichts Fatales, gewiss, denn Mutter und Neugeborenes sind wohlauf, aber vielleicht doch ein Behandlungsfehler in the making? Bevor das Bewusstsein sich zu sehr in Themen vergräbt, die es nichts angehen, erscheint Schwester A. mit einer Schlaftablette, gerade rechtzeitig, denn da ist das Bewusstsein müde und will sich stilllegen, aber der Körper, die Umgebungsreize, irgendwas, lässt es einfach nicht. Die Tablette führt in eine Dämmerung, immerhin. Dichte, plastische Bilder und Szenen, die sich nicht zu Träumen aufbauen wollen.

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