Werkzeugspaß und Körperkalibrierung: vom Leben unmittelbar nach einer LWS-Operation
Der letzte Erfahrungsbeitrag mit Verhaltensanregungen für die Zeit nach einem chirurgischen Eingriff, Flüssig-breiige Ernährung im Anschluß an Kieferoperationen, ist den Zugriffszahlen nach zu schließen ein totaler Renner. Nicht, dass ich die geneigte Leserschaft mit Genesungsgedöns langweilen möchte, aber einige bescheidene Hinweise für die Erleichterung des Lebens im Anschluß an eine Operation der Lendenwirbelsäule könnten ja dann doch nützlich sein.
Nach einer LWS-OP soll eins die Wirbelsäule so gerade wie möglich halten und auf keinen Fall im LWS-Bereich beugen oder drehen. Becken und Schultern immer schön parallel halten. Die Schwierigkeiten, die eins damit haben kann, hängen von der individuellen Konstitution, Beweglichkeit und Körperbewußtheit ab, das also bitte mitbedenken. Aber umlernen wird eins auf jeden Fall müssen. Wie lange, hängt von der OP ab. Bei einer Transforaminal Lumbar Interbody Fusion (TLIF) — klingt geil, gell? —, die ich die Ehre hatte erleben zu dürfen, dauert’s länger mit der Vorsicht, bei einer einfachen Facettengelenkszysten-Entfernung, die ich letzes Jahr die Ehre hatte erleben zu dürfen, erfolgt der Übergang in sorglose Bewegung früher.
Meine erste Beobachtung dazu: in alltäglicher Umgebung ist die Einübung neuer Bewegungsmuster schwieriger. In der ohnehin fremden Umgebung eines Krankenhauses fällt es leichter, sich etwas anzutrainieren. Die Mobilisierung nach einer LWS-OP beginnt sehr früh, in der Regel bereits am Tag nach dem Eingriff. Ich würde diese Phase im Krankenhaus nützen, so viel wie möglich zu üben, damit sich Bewegungsmuster rasch einprägen.
Das sind im wesentlichen vier. Erstens, im Liegen das Drehen mit dem ganzen Körper, en bloc, auch dann, wenn eins nur etwas vom Nachtkästchen derglengen möchte. Zweitens, Aufsetzen aus dem Liegen immer über die Seitdrehung, Beine anwinkeln und runterfallen lassen und gleichzeitig mit den Armen seitwärts hochdrücken (das Gewicht der fallenden Beine als Anker nützen), dabei die Wirbelsäule so gerade wie möglich lassen. Drittens, Aufstehen und Hinsetzen mit geradem Rücken (Hände auf die Oberschenkel legen dabei hilft) und mit Hauptarbeit in den Oberschenkeln. Für diese drei Bewegungen geben Physiotherapeut*innen Anleitungen im Krankenhaus, es gibt auch zahlreiche PDFs und Videos auf Klink-Websites. Viertens, Drehbewegungen beim Herumgehen und -stehen immer mit dem ganzen Körper durchführen (wenn eine isolierte Kopfdrehung nicht ausreicht, die ist auch ok), und am besten mit angespanntem Unterbauch. Ich habe mir angewöhnt, diese Drehungen von den Füßen aus zu denken und anzugehen, dann setzt sich das von unten her logisch auch über Hüfte und Schultern durch. Die Drehung beginnt damit, dass die Füße initiativ werden. Der Reflex ist ja eher, den Kopf zu drehen und den Rest des Körpers so weit mitzuziehen wie nötig — dann ist eins aber schnell in der LWS-Drehung drin, das ist bäh.
Sich reflexhaftes Drehen überhaupt abzugewöhnen, ist schwer. Wenn zum Beispiel eine Person von hinten ruft (“kannst du mal kurz?”), oder wenn es unerwartete akustische Signale von hinten gibt (Amseln tuckern). Ich drehe mich da sofort neugierig um und mußte nunmehr feststellen, dass ich das viel zu gerne aus der LWS mache. Mir hilft bei der Vermeidung (zusätzlich zum Fußprinzip) die Strategie, so wenig wie möglich in solche Situationen zu kommen — also so gut es geht Umgebungen zu meiden, in denen Drehprovokationen wahrscheinlich sind. Eins soll ja viel gehen nach so einer OP, aber dann eben in möglichst reizarmen Umgebungen. Ich suche mir Wege, wo ich so wenige Straßenkreuzungen wie möglich passiere, und gehe zu Zeiten, da wenig Verkehr ist. (Mit kleinen Kindern stelle ich mir die Drehvermeidung übrigens sehr, sehr schwierig vor.) Und ich bewege mich vorwiegend so, dass die Amseln tendenziell vor mir tuckern. Nie der potenziell tuckernden Amsel den Rücken zukehren!
Wenn man sich im Sitzen drehen muß, so meinte die Physiotherapeutin, dann die Schulter so weit wie möglich isoliert drehen. Dieser Hinweis ist besonders bei Reinigungsvorgängen im Anschluß an einen sitzenden Toilettengang zu bedenken. Lachen Sie nicht, das sind häufige Bewegungen, bei denen man viel kaputt machen kann. Und wenn wir schon bei Körperpflege sind: Fürs Gesichtwaschen empfiehlt sich ein Waschlappen (ansonsten Beugegefahr!). Personen, die ansonsten die Verwendung eines Zahnputzbechers zugunsten behenden Beugens zum Wasserhahn verschmähen, wird temporäres Umdenken empfohlen. Der Zahnputzbecher ist der Freund des geraden Rückens.
Apropos beugen und drehen. Mit Ausfallschritt kommt eins bei einigermaßen beweglichen Hüften relativ weit runter gen Boden, ohne den Rücken zu beugen, aber de facto gibt es — von der Physiotherapeutin bestätigt — keine Möglichkeit, etwas vom Boden aufzuheben, ohne dabei den unteren Rücken zu verdrehen. Let that sink in, and don’t even try. Du kannst nichts selbst aufheben.
Gut, manches läßt sich vermeiden. Das kokette Hinabgleitenlassen von Gewändern zum Beispiel, machst du halt dann ein paar Wochen nicht. Dennoch: Mir war nicht bewußt, wie oft mir täglich was runterfällt, und wie viele Gegenstände meines Alltags, nun ja, einfach am Boden leben. Gelegentlich hebe ich Gegenstände mit den Zehen, warum nicht, Variation macht Spaß. Wenn Stabilität und Hüftbeweglichkeit mitspielen, läßt sich ein Gegenstand mit der Zehe bis zu den Fingern der gegenüberliegenden Hand transportieren, ohne dass sich die LWS biegt. Echt! Gegenstände können auch stufenweise gehoben werden: erst mit den Zehen auf eine Stufe oder einen niedrigen Tisch transferieren, von dort geht’s dann oft bereits mit rückenfreundlichen Beugetechniken aus der Hüfte und in den Knien.
Meist kommt aber doch die Greifzange zum Einsatz. Greifzange! Wort und Gegenstand wurden mir von der Physiotherapeutin im Krankenhaus ins Bewußtsein gerückt — I had no idea! Es gibt eine sehr beeindruckende Produktpalette an Greifzangen, für Menschen geeignet, die freiwillig, verordnet oder aus Notwendigkeit Müll aufsammeln, oder für Senior*innen. Auf einschlägigen Verkaufsplattformen werden Greifzangen stark nachgefragt und detailreich rezensiert. Das Produktdesign ist wohl nicht ganz zufällig oft dem einer Schußwaffe angeglichen, der Wasserpistolenspaßfaktor ist nicht zu leugnen. Manche Modelle wie das von mir erworbene haben Magneten vorne an den Armen, aber ich habe sie noch nie nötig gehabt; vielleicht eher ein Gimmickfaktor. Allzu schwere Gegenstände kann man mit Greifzangen nicht heben, aber so bis ein Kilogramm geht’s. Und es macht Spaß. Wie es ja oft bei guten Werkzeugen der Fall ist, entdeckt man ihren weiteren Nutzen auch erst im Gebrauch. Bislang zog ich immer den Stuhl heran, um in höher gelegene Küchenregale greifen zu können, jetzt erledigt die Greifzange 80% dieser Fälle viel komfortabler. Offenbarungen!
Socken und Schuhe anziehen, auch so eine Sache. Sockenhandling geht nur im Sitzen, sorry (ich bin sonst eingefleischte und stolze Sockenstehhandlerin, je nun). Was die Schuhe angeht: am besten schaut eins schon vorher drauf, Slipper zur Verfügung zu haben, dann müssen wenigstens keine Schuhbänder oder andere Verschlussformen manipuliert werden. Sehr empfehlen kann ich einen Teleskopschuhlöffel, mit dem auch im Stehen das Hineingleiten in Slipper mühelos gelingt. Es gibt auch einfach lange Schuhlöffel, ich fand die Teleskopkonstruktion aber attraktiver, weil sie à la longue flexiblere Einsatzmöglichkeiten hat. Schlapfen lösen das Problem natürlich auch, sind aber vermutlich nicht für alle aushäusigen Situationen geeignet.
Schon vor längerer Zeit erworben: ein schräg leicht verstellbaren Tisch für die Arbeit mit dem Laptop im Liegen, oder auch für die Ablage von irgendwas. Mit geeigneten Liegeflächen und Polstern ist sowas übrigens auch ein Segen für die Halswirbelsäule. Fürs Liegen am Rücken empfiehlt sich generell ein härteres, längliches Kissen für unter die Knie, da schnurrt das Wirbelsäulchen.
Eine größere und planvollere Investition ist ein elektrisch verstellbarer Lattenrost fürs Bett. Keine Altersscheu! Angesichts dessen, wie viel Zeit eins im Bett zubringt, so auf die Lebenszeit gerechnet, ist’s erstens nicht soo teuer (gute Matratze sowieso wichtig), und praktisch alles, was sich in Rückenlage erledigen läßt, läßt sich mit verstellbarem Lattenrost besser und bequemer erledigen. Beim Handling eines solchen Lattenrosts (gilt auch fürs Krankenhaus) postoperativ aufpassen, dass ie LWS nicht in eine zu stark gebeugte Position gerät, indem etwa Kopf- und Fußteil zugleich weit hochgefahren werden. Aber der Körper gibt da schon recht verläßlich Rückmeldung (aua). Wichtig ist auch daran zu denken, die Matratze wieder absolut flach zu stellen, wenn eins sich im Liegen auf die Seite dreht, denn eine seitliche Biegung der Wirbelsäule gilt es zu verhindern.