Das weiche Hirn erwies sich ausnahmsweise als großzügig
Ankunft in einer ostasiatischen Stadt, das ist eine Meditation über und in Zeit. Eine lange. Es ist ja nicht damit getan, dass man hurtigen Schrittes einen Flughafen von in der Regel beachtlicher Größe durchmisst — was heute am Flughafen Incheon trotz vorgeschriebenem zusätzlichem PCR-Test und Extraschritt mit SIM-Card-Abholung für Datenbonanza tatsächlich erfreulich hurtig verlief —; man muss dann auch noch in die Stadt, und Flughäfen sind in dieser Weltgegend von Stadtzentren dann doch gern so eineinhalb bis zwei Stunden entfernt.
Diesmal den Wettlauf mit dank Schlafentzugs und Zeitzonenwechsels fortschreitender Hirnweichheit beinhart angetreten. Ich hätte es mir einfacher machen können und ein Taxi nehmen, aber ich wollt’s wohl einfach wissen, hatte ein merkwürdiges Bedürfnis nach immersion. Eisig gekühlte Zug- und U-Bahn-Waggons, anfangs lockere Fahrgastdichte, müde Arbeiter, Touristen, Familien mit kleinen Kindern — das vielleicht fünfjährige koreanische Mädel, das die japanische Ansage der nächsten Station des Airport-Trains inklusive Umsteigeinformationen akzentfrei nachspricht; die Eltern loben sie und freuen sich, so viel verstehe ich aus ihrer Intonation. Je näher ans Zentrum, umso gefüllter der Zug, wir bleiben aber gottseidank noch einige Kubikmeter Luft vor Tokioter Yamanote-Linie-Zuständen. FFP2-Masken überall, manchmal verrutschen sie aus Erschöpfung. Blicke über die Schultern junger Männer, die sich auf ihren Mobiltelefonen im Querformat Fernsehserien reinziehen. Stoische Fahrgäste — oder soll ich sagen: konfuzianische? —, die unaufgefordert Platz machen, wo Familien zusammensitzen wollen oder ältere Menschen Sitzplätze brauchen.
Fälschlich eine U-Bahn-Station zu früh ausgestiegen, dann aber noch in der Station bemerkt (die rudimentären Hangul-Kenntnisse setzten dann doch noch ein), korrigiert, stoisches Herumschleppen von Gepäck. Die Praxis der altgriechischen Philosophie im modernen Großstadtgetriebe. Das weiche Hirn lässt heute großmütig noch etwas Zeit. Gelegentlich übersetzt sich diese Weichheit sonst sehr rasch in Ungeduld und Unduldsamkeit, was anstrengend und nervig für alle Beteiligten und Betroffenen wird. I spare you the details. Diesmal bleibt sie aber großzügig, die Matschigkeit, und lässt den Rest des Organismus im Autopilot der Gelassenheit vor sich hin schlendern und schleppen, was den Fußweg vom U-Bahnhof zum Hotel durch flirrende Mittagshitze bei hoher Luftfeuchtigkeit gerade noch erträglich macht. Im Hotel gut dreieinhalb Stunden nach Landung, das ist eigentlich eine verdammt gute Zeit.
In diesem Teil Gangnams keine Spur der Regenfälle der vergangenen Tage zu sehen, alles trocken, nur die Luft nicht.