Vom Liederabend
[Desertshore, ein Festival benannt nach Nicos weitgehend unbekannter Platte von 1970, kuratiert von Christian Morin, zwei Tage mit Konzerten, Video-Installationen, Gesprächen im Wiener Volkstheater, 3./4.12.2022]
Zweiter Festivalabend: Ein Liederabend, vorwiegend von älteren Herren bespielt, die man aus weit lärmenderen Zusammenhängen kennt: Kristof Hahn und Michael Gira (Swans), jeweils solo, dann Blixa Bargeld gemeinsam mit dem italienischen Musiker und Komponisten Teho Teardo, begleitet von einem Streichquartett, einer Solo-Cellistin und einem Bassklarinettisten. Hahns Auftritt war nicht im großen Theatersaal geplant gewesen, sondern in der weit kleineren Roten Bar, wurde dann aber doch in den Großen Saal verlegt. Der Andrang war beachtlich, das Haus war nahezu ausverkauft, und es ist ja nicht gerade klein. Später in der Roten Bar spielte noch Joanna Gemma Auguri, eine Entdeckung, der ich mehr Aufmerksamkeit gewünscht hätte. Die Rote Bar war eh gut voll, aber es war halt eine Bar, und nach dem Bargeld-Teardo-Konzert — das etwas später als geplant endete — strömten die Menschen dann zur Getränkeversorgung, während Auguri bereits zu spielen begonnen hat. Das gab viel entbehrlichen Zusatzlärm. Sie nahm’s mit Humor und sehr souverän, aber schön war das nicht.
Hahn spielt an der Lap-Steel-Gitarre; ich komme etwas zu spät, er scheint mit reinen Instrumentalstücken begonnen zu haben (eins zum Beispiel hier). Es folgen einige Songs, mit Timbre, traurig, berührend, herbststimmungsmäßig (in einem gehts auch um November und Kälte im ganzen Land), zerbrechlich, wehmütig. Eine Version von Roxy Music’ “If There Is Something” (hier). Der Gesang vibrierend brüchig, alles zusammen recht laut. Einige verlassen den Saal oder gehen ein paar Reihen weiter zurück, sich an die Ohren fassend.
Michael Gira demgegenüber eine physisch, musikalisch und stimmlich unhinterfragbare Präsenz, imposant, kontrollierte Bewegungen, ein kompakter, kräftiger Körper als Resonanzraum für eine unglaublich kraftvolle Stimme. Singt zu Sologitarre, spielt hauptsächlich Tracks von einem bevorstehenden Swans-Album. Wenn er “come to me, feed on me” singt, will man dem unverzüglich nachkommen, so im Sinne von “jo eh, was denn sonst”, aber dem drohend-finsteren Unterton des Versprechens “my love for you will be endless” ein paar Nummern später möchte ich nicht unbedingt nähertreten, danke. Starker Eindruck, jedenfalls.
Bei Bargeld & Teardo Publikum von vornherein sehr begeistert, empfängt die Truppe schon mit Riesenapplaus und Gejohle, und am Ende gibt’s Standing Ovations. Das gesamte Arrangement vom Sozialgefühl her sehr Bargeld-lastig, aber wenn man Bargeld mit dabei hat, ist das womöglich einfach so, da ist die Aura einer Legende schwer wegzukriegen. Getragene, traurige Lieder, Sprachmischungen italienisch-deutsch-englisch, recht vielstimmig instrumentiert, die Streicher voll ins Tränende hinein, bewegend. Bargeld erzählt einige Anekdoten zwischendrin, aber eher so Berlin- vs. Italien-Schmonzetten, dass in Berlin der Winter so kalt sei und man das gegenüber Italienern nicht erwähnen sollte, eine Lockdown-Anekdote mit einem italienischen Restaurant.
Irgendwie sympathisch, dass auch Industrial-Helden um Klischees wie den kalten Berliner Winter nicht herumkommen, aber das Geplaudere passt dann halt doch nicht zum weihevoll-getragenen Ton der Songs — die Bargeld andererseits eh auch nicht so ernst zu nehmen scheint; einmal kündigt er eine Nummer mit einem lakonischen “and now another sad song” an und lacht sich dabei selber einen ab. Das ist dann wiederum doch ein erfrischender Kontrast zu Gira, der sich schon sehr, sehr ernst nahm. Ein Typ aus dem Publikum übt sich dann auch noch in sowas wie Wiener Schmäh, der in seiner Ruppigkeit doch tatsächlich oft mit Unfreundlichkeit verwechselt wird. Manche meinen auch, es wäre ganz einfach nur Unfreundlichkeit, die so tut, als wäre sie witzig. Bargeld, nach etwas Lockdown-Lamento: “We haven’t played a concert in four years.” Typ aus dem Publikum: “Das hört man!” (Man nahm es mit Humor.)
Bargeld trägt sein Haar übrigens lang, was dazu führte, dass er es sich sehr, sehr oft aus dem Gesicht strich. Also wirklich sehr, sehr oft. Da war irgendwas Glitzerndes auf den Lidern, so genau aus der etwas größeren Entfernung nicht zu erkennen; das lief dann schon auf grenzgenial exaltierte Diva hinaus, die Glitzerlider und die immer wieder zurückgestrichenen Haare, alles konterkariert von einem schnoddrigen, leicht ins unfreiwillige Grau gehenden schwarzen Anzug. Männer mit dünnen langen Haaren, zwischen denen man immer wieder die Ohren aufblitzen sieht, auch so ein Ding.
Teho Teardo, der Gitarre, Schlagwerk und Elektronisches bedient, eher zurückhaltend, jedenfalls spricht er nicht ins Mikro, dirigiert aber die Musik, halt das Orchester zur Diva. Irgendwann schon recht spät im Verlauf des Konzerts stellt Bargeld die Musiker*innen vor, muss sich dafür noch einen Zettel von hinter der Bühne holen. Kam dann den insgesamt sechs Musiker*innen gegenüber nicht ganz so respektvoll rüber, dass sich der Frontman ihre Namen nicht gemerkt hat. (Man spielt offenbar nicht regelmäßig gemeinsam, freilich.)
Dann Joanna Gemma Auguri, deutlich jünger als die Herren, wunderbare Stimme, spielt dazu Akkordeon oder Zither (Geschichten von der Zither als populäres Instrument in der DDR, quasi “Klavier für Arme”), manchmal begleitet von einer Cellistin, erzählt kurz Poetisches zu den Songs (hier zum Reinhören). Gefesseltes Publikum.
[“Wien Modern”-Konzerte hatten übrigens den Vorteil, dass man dort nicht so viele männliche Bekannte von früher mit sehr viel jüngeren Damen an ihrer Seite sah; vielleicht gehen Mädels, die mit älteren Herren ausgehen, lieber zu älteren Herren, die singen. Generell war das Publikum aber altersmäßig sehr durchmischt, auch wenn Kristof Hahn über kollektiv höheres Alter im Raum witzelte.]