Musik und Positionen
Wien Modern, immer noch. Konzerthaus, Gedenkkonzert für Lothar Knessl, einen Ö1-Mitarbeiter mit großen, auch kulturpolitischen Verdiensten um die Neue Musik, im Radio, im Konzertwesen, im Aufbau von Strukturen und Institutionen. RSO-Orchester Wien, Stücke junger Komponist*innen (Angélica Castelló, Milica Djordjević, Matthias Kranebitter, Sara Glojnarić, Mirela Ivičevič), Ur- und Erstaufführungen, dazwischen Anekdotisches und Würdigendes, knapp, auf den Punkt gebracht, auch von der Kulturstadträtin. Dann im Buffet, das eigentlich ein größeres Lokal ist, ein Abend mit Rosen (für die Künstler*innen) und Sliwowitz (für alle) und DJane (Abu Gabi, leider für die Hund wg. schlechter Akustik). Zwischendrin in alkoholisierter Gelöstheit Menschen getroffen, die seit gut zwanzig Jahren nicht gesehen. Wie man einander damals so viel zu sagen hatte, auch, weil in ähnlichen Situationen, aus anderen Ländern wieder hier angekommen, oder auf Durchreise, und generell in Lebenssituationen mit vielen Möglichkeiten und vielen Baustellen, Offenheit und Überbeanspruchung gleichzeitig, Rastlosigkeit. Die Nächte vage, manchmal.
Jetzt leichte Unbeholfenheiten, über die dann aber bald gewitzte Plaudereien hinwegtänzeln. Funkelnde Augen, große Begeisterungsfähigkeit, immer noch, ja, da könnt man stundenlang weiterreden, in alle möglichen Richtungen, wieder, bei allen Bruchlinien und Meinungsverschiedenheiten (“Wie uns damals der Kulturstadtrat die Millionen gegeben hat, im Vertrauen, dass wir was G’scheit’s damit machen, das waren noch Zeiten” – “Jo eh, ungezügelter Feudalismus halt”). Vielleicht machen wir das auch einmal, das Weiterreden; wir wissen ja jetzt, dass wir da sind. Vielleicht langsamer, vielleicht mit mehr Zeit. Dann, beim Gehen, der seltene Moment, ganz allein (mit dem Garderobier) im Foyer des Konzerthauses zu sein. Tiefe Atemzüge. Merken.
Reaktor, ein renoviert-restauriertes Unterhaltungsgebäude des 19. Jahrhunderts in der Vorstadt des 17. Bezirks; beeindruckender Hauptsaal. Zwei Konzerte hier gesehen; beim zweiten, Hacking the Piano, die Instrumente im Raum verteilt. Auf der Bühne vorn Streicher, inklusive Harfen, flankiert von zwei Pianos mit Saloon-Klang; ein Hammerklavier. In der Mitte des Raumes ein Podest, auf dem ein Kontrabass liegt. Rechts und links hinten Klaviere, die präpariert, entrahmt, dekonstruiert oder rekonstruiert wurden. Sitzreihen an den Seiten; in der Mitte, zwischen den Instrumenten, rote Matten und orangefarbene Pölster, die ich von der Xenakis birthday party wiedererkenne. Labsal Liegekonzert. Man kann sich im Liegen gut in Richtung der Instrumente drehen, die gerade bespielt werden, Positionswechsel vornehmen. Das Setting hat Potenzial; das Setting bleibt Potenzial. Schön wäre es gewesen, wäre aus der Stellung der Instrumente im Raum auch Klangbewegung erzeugt worden, hätten die Präparationen der Klaviere – die “Hacks” – ineinander gegriffen. Wäre, hätten.
Sonntag, blauer Himmel, Sonne, Matinee im Musikverein. Eine halbe Stunde Auftakt Georg Friedrich Haas im Foyer und in der ehemaligen Kutschendurchfahrt. Streicher, verteilt, zwei Schlagwerke obendrein. Das Publikum aufgefordert, umherzugehen, dabei jedoch Stille zu bewahren, um die Konzentration der Musiker*innen nicht zu stören. Das Konzept geht überraschend gut auf. Genialität Gehkonzert. Klänge bewegen sich von den Schlagwerken angetrieben erst wellenartig durch die offenen Räume, zerfallen dann aber wieder an die Orte der einzelnen Instrumente, und so geht es hin und her. So geht das mit der Klangbewegung, die auch eine Publikumsbewegung ist; Gehen und Stehenbleiben werden zur Klangwahl. Eine sehr kluge Geschichte, man lässt sich von den Klängen anziehen und von der an dem einen Ort eintretenden Stille an einen anderen forttreiben, wo Musik einsetzt, dabei auf die Bewegungen der anderen Hörenden reagierend, indem man sie mitmacht oder eben auch nicht. Rasch bildet sich in der Durchfahrt eine Kette. Menschen gehen rechts in die eine, links in die andere Richtung; es gibt leicht erhöhte schmale “Gehsteige” an den Rändern, wohin man sich aus dem Strom der Gehenden ausklinken kann, um zu verweilen. Wie nah sich die einen an die Musiker heranbewegen, welch Distanz die anderen wahren. Wie selbstverständlich die einen handyfilmen, wie selbstverständlich die anderen es lassen.
Weitergehen in den Goldenen Saal, der wahrscheinlich nur deshalb immer noch seine unzumutbar unbequeme Bestuhlung hat, weil das üblicherweise betagte Durchschnittspublikum vom Weltkrieg her nichts anderes gewohnt ist. Sehnsucht nach den Reaktor-Matten. Enno Poppes Wald, für vier Streichquartette, Ensemble Resonanz. Exerzitien klagender Streicher, einander überlagernd, wie Fragen, sehr zarte Gesten, dann aber auch drängendere Spiralen, die sich immer höher schrauben; das Ende ist verdammt schön; merken. “Jadarit” von Milica Djordjević, Uraufführung, Streicher und hochvirtuoses Schlagwerk (Dirk Rothbrust, ebenfalls merken, nicht nur wegen seiner beeindruckend langen und spitzen Schuhe).